Psychotherapeuten im Visier
Aspekte der Erkrankung übersehen werden, erheblich zum Vorteil des Patienten ein.
Ein vergleichbares kollegiales Kontrollorgan bildet der Facharzt für den Hausarzt. Bei den niedergelassenen Psychiatern und Psychologen ist ein solcher fachlicher Austausch
im Sinne des Patienten die absolute Ausnahme und findet, wenn überhaupt, nur in der Klinik statt.
Ob mich die Kritiker und Anfeinder aus den beiden Fachgebieten eines Tages verprügeln wollen, muss ich abwarten – verbal haben sie es längst getan. Aber da bin ich glücklicherweise schmerzunempfindlich. Die äußerst verletzende Diktion dieser Angriffe, die ich auch als seelische Verletzung einschätzen könnte, habe ich bei den Fachleuten, die sich mit der Fragilität der Seele beschäftigen, allerdings nicht erwartet. Dass sowohl Psychiater und Psychologen die Thesen, die ich in meinen Büchern über Depression dargelegt habe, stets mit Argwohn betrachtet haben, weiß ich, und ich bin tolerant genug, andere Meinungen zu akzeptieren – nicht allerdings verstaubte Ideologien, die allein der Selbstverteidigung dienen.
Psychiater und Psychologen sind in ihrer gesellschaftlich betonierten Existenz aufgrund der Knappheit des Angebots in einer nahezu unangefochtenen Situation – in der einzelnen Praxis ebenso wie in der erfolgreichen Lobbyarbeit der politisch relevanten Gremien. Dort wird auch weiterhin wider bessere Erkenntnis das Kohleschaufeln als Energieversorgung einer tonnenschweren Lokomotive der therapeutischen Nostalgie eingesetzt.
Psychotherapeuten im Visier – das ist ein zweideutiger Titel. Den einen habe ich versucht, gedanklich auszufüllen. Die andere Bedeutung des Begriffes »Visier« ist mir ebenso wichtig, bedarf aber keiner ebenso langen Erklärung. Das Visier war im Mittelalter der Kopf- und Gesichtsschutz des kämpfenden Ritters. Je prachtvoller das Visier, je eindrucksvoller in Form und Farbe der Helm, desto Furcht einflößender für den Gegner, desto effektvoller die Wirkung.
Ich erlaube mir die Vorstellung, dass es für alle seelisch kranken Menschen eine Befreiung wäre, wenn die Therapeuten
endlich ihr habituelles Visier ablegen würden. Warum verstecken sie sich hinter der metallischen Maske der emotionalen Undurchsichtigkeit? Wer schützt hier eigentlich wen? Therapeuten im Visier?
Es gibt so viele Erwartungen, so viel ungestillte Hoffnung, dass nicht nur das Ins-Visier-Nehmen der Psychotherapeuten zu einem Umdenken führen möge – sondern auch die Bitte, das Visier aufseiten der Therapeuten abzulegen, zu einer Neubesinnung führen möge: Schaut euch ins Gesicht, lasst die Maske des Visiers fallen, nehmt den Kritikern das Pulver, euch nur allzu genüsslich zu treffen.
Das große Leiden der seelisch kranken Menschen erwartet Respekt und die beste aller Welten an begleitender seelischer Entlastung. Ob dann am Ende die Zeit oder die Psychotherapie zu einem Erfolg geführt haben – ist das noch wirklich wichtig?
Von Schweinen lernen heißt leben lernen
Ich mag Schweine. Nicht nur, weil wir Ihnen Unrecht tun und ihren Namen immer dann gebrauchen, wenn wir einen schlechten Menschen kurz, knapp und eindeutig charakterisieren wollen: Der ist ein Schwein! Damit tun wir den Schweinen keinen Gefallen und mit den Bezichtigten gehen wir viel zu milde um. Wie sehr wünschte ich mir, dass der oder die eine, der oder die als Schwein bezeichnet wurde, sehr viel eindeutiger als Ungeheuer, als Sadist, als gefährlich, unmoralisch oder einfach nur als widerlich beschimpft wird – aber nicht als Ferkel oder Schwein! Die deutsche Sprache wird stets als klar, komplex und nuancenreich beschrieben, aber wenn es um die Charakterisierung eines bösen Menschen geht, sind wir sehr nachlässig – und das seit Generationen, nicht erst jetzt, da Sprache oft nur noch in plakativen Kürzeln und Fäkalbeilagen verwendet wird. Die Steigerungsform ist sprachlich »dummes Schwein«. Das ist nun wirklich gänzlich
unpräzise und soll nur ablenken. Wenn wir jemanden als dummes Schwein bezeichnen, sprechen wir ihn gleichsam frei oder gar schuldunfähig. Mit den Dummen sollten wir eigentlich Mitleid haben, sie können häufig wirklich nichts für ihr reduziertes Dasein. Wir verunglimpfen also gleichsam sowohl den beklagenswerten Dummen, der eigentlich unserer Fürsorge bedarf, als auch das Schwein, das wir in seiner Art als Tier geradezu niederträchtig missbrauchen. Kurz: Das Schwein ist weder dumm noch »Schwein«, es gibt auch keine blöden Ferkel. Schweine und
Weitere Kostenlose Bücher