Psychotherapeuten im Visier
beschwören, als der gute Landarzt einmal im Jahr vor Weihnachten zu seinen Patienten und deren Familien kam, um sich die Hausbesuche und die Behandlungen, die er übers Jahr geleistet hatte, bezahlen zu lassen – mit Geld und Naturalien. Das ist lange her, zugegeben, aber dieser Umgang miteinander hatte etwas Würdevolles, zeugte von gegenseitigem Respekt und vor allem von Vertrauen. Der Arzt genoss im Ort dasselbe Ansehen wie der Pfarrer oder Pastor, der Apotheker, der Lehrer und, wenn es ihn denn im Sprengel gab, der Richter – vielleicht noch der Gutsherr oder auch der wohlhabende Kaufmann. Es war die intellektuelle Oberschicht, die zwar Achtung erwartete, aber auch – besonders die Ärzte – durch
Empathie, ständige Verfügbarkeit und vor allem auch durch die gewünschte zeitliche Zuwendung im Leben und vielleicht noch mehr, im Sterben, Beistand zu leisten als selbstverständliche Verpflichtung empfanden. Achtung hatte seine Berechtigung. Machten sie ihre Arbeit zur Zufriedenheit ihrer Patienten, dann erhielten sie auch die verdienten Taler. Die Armen behandelte der gute Arzt ebenso, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Das gerade machte oft seinen besonderen Nimbus im Ort aus – die gute Seele Arzt. Klingt nach Klischee, war aber häufig wirklich Realität und ist es in ländlichen Gemeinden heute noch, auch wenn sich die Abrechnungsmodalitäten natürlich auch dort geändert haben – aber die Beziehung Patient/Arzt ist auf dem Lande noch immer inniger und persönlicher als in den Großgemeinden.
Es geht also um das Arzt- und Therapeutenprofil, von dem jeder Patient erst einmal gutgläubig ausgeht, dass er selbst mit seinem Krankheitsgeschehen im Fokus des Interesses steht und der Arzt seinen hippokratischen Eid nicht nur als Lippenbekenntnis versteht, sondern als Ultima Ratio seines Berufsethos. Patienten machen aber auch andere Erfahrungen – und die zu ihrer größten Überraschung. Das klingt nach bevorstehender Ärzteschelte, aber damit ist die Frage nach dem Profil des Arztes nicht zu klären und negativ will ich das Thema ohnehin nicht angehen, eher mahnend.
Wer zum ersten Mal ernsthaft erkrankt, fühlt sich diesem neuen Phänomen in seinem Leben hilflos ausgeliefert, ratlos, verängstigt und in der gerade noch erlebten gesunden Selbstverständlichkeit erschüttert. Es gibt das bange Warten, bis die Diagnose gestellt ist, dann kommt die Phase, in der der Patient über den vom Arzt vorgeschlagenen und empfohlenen Behandlungsweg nachdenken muss. Soll er eine Zweitmeinung einholen oder würde er damit an der fachlichen
Autorität dessen zweifeln, der ihn nun gerade mit seinem Krankheitsgeschehen konfrontiert hat – und wie würde er reagieren, wenn dieser Wunsch nach der Zweitmeinung ihn erreicht? Ärger, Empörung? Wird er sich sagen: Warum traut mir der Patient nicht? Ich bin doch kein Gebrauchtwagenhändler, zu dem der Kunde, der ein höherpreisiges Auto kaufen will, in weiser Voraussicht natürlich mit einem Sachverständigen kommt! Diese Art der offenen und gedanklichen Konfrontationen spielt sich jeden Tag in jeder Arztpraxis und in jedem Krankenhaus ab – vor allem aber ungeheuer belastend in den angstgeplagten Köpfen der Patienten. Und natürlich auch – auf beiden Seiten, aber ungleichgewichtig – in jeder psychotherapeutischen Praxis. Und damit bin ich wieder bei der Frage des Schweinseins, denn darauf richtet sich ja der Blick dieses Kapitels.
Mein Plädoyer zielt auf das gutartige Arzt-Trüffelschwein – geduldig, aber auch zielstrebig, weil es dann belohnt wird. Kompetent und effektiv, wenn es schnell fündig wird, denn dann gibt es auch ebenso prompt die intellektuell-fachliche Selbstbestätigung. Und: Trüffelfinder Arzt und erwartungsvoller Abnehmer Patient sollten im Idealfall immer eine empathische Symbiose eingehen – nur dann können beide erfolgreich sein, besser: das Glück einer solchen Symbiose im Erfolg erleben.
Darum soll es jetzt gehen, denn das Instrumentarium des Therapeuten ist nicht das Skalpell, nicht allein der heilende Medikamentenmix, nicht die lebensrettende Apparatemedizin, sondern das zuerst einmal allein an das Wort gebundene, unbedingte und vorurteilsfreie Eingehen auf einen Menschen, der in großer seelischer Not ist und das entsetzliche Leid der Depression erfährt.
Und: Wie ist die Realität, was kann das Wort bewirken –
kann es wirklich etwas bewirken? Ist der Begriff »Psychotherapie« überhaupt redlich oder bedeutet er vielmehr Anmaßung?
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