Psychotherapeuten im Visier
erfolgen, strafrechtlich verfolgt. Der Schlächter – also der Mörder – darf dann nach der Verurteilung nicht mehr im öffentlichen Freibad schwimmen, sondern nur noch hinter einem Zaun und lebenslang ohne Auslauf – das heißt mindestens, meist höchstens 15 Jahre. In den überwiegenden Fällen ist der Zaun für das Schwein – das Gatter oder die Box – die einzige Lebensumgebung, und das lebenslang. Etliche spanische Schweinebauern und ihre Verbände haben ein anderes Verhältnis zu den ihnen anvertrauten Tieren – sie lieben sie, sie hegen sie gut und verkaufen sie gut. Zur Freude aller, also eine dieser so gern beschworenen Win-win-Situationen, in denen alle glücklich sind. Ja, hier mag dieses Klischee tatsächlich einmal stimmen, zumindest erfährt das Schwein dort die Wertschätzung, die es verdient – übrigens auch in Italien.
Aber zurück zum Patienten, dem zum Produkt mutierten Menschen, der im Krankheitsfalle zunehmend einen Warencharakter annimmt, also wirtschaftlichen Ertragskategorien der Kosten-, Nutzen- und Gewinnbetrachtung unterliegt. Darüber wird natürlich öffentlich nicht gesprochen, weder in den Ärzteorganisationen noch in der Politik, bei den Gewerkschaften oder den Kirchen. Das Thema ist zu heikel und wird nur hinter verschlossenen Türen diskutiert – wenn überhaupt. Meist wird einfach gehandelt, die Folgen dieses Handelns werden im besten Falle irgendwann von den Gerichten bearbeitet oder sie werden als politisch zu brisant und nicht vermittelbar einfach verschwiegen.
Was heißt das nun nach diesem gedanklichen Vorspiel, das zuerst einmal auf Humor und nicht auf Schelte setzt? Die kommt später.
Ja, Humor ist mir bei der desolaten, aber eben leider auch karikaturhaften Situation von Patienten, die sich einer Behandlung bei Psychologen und Psychiatern unterziehen müssen oder wollen, einfach wichtig – wie sonst sollte ich das Desaster beschreiben, das die vielen, vielen seelisch Kranken täglich erleben, besser erst nach Monaten einer sogenannten Behandlung, hochtrabend Therapie genannt, erfahren, wenn sie denn überhaupt das große Glückslos eines verständnisvollen Gehörs in ihrem Leiden finden, oder sogar Linderung?
Damit komme ich zum einzig positiv konnotierten, ja, bewunderten Borstentier, dem Trüffelschwein. Positiv besetzt deshalb, weil das Trüffelschwein nicht nur äußerst erfolgreich nach dem schwarzen Gold, dem Trüffel, bis zu einer Tiefe von 15 Zentimetern zu graben versteht – anders als die Hunderasse Lagotto im Piemont, die den Trüffeljäger als Helfer braucht –, sondern weil wir auch Menschen mit einer besonderen Begabung gern Trüffelschwein nennen: Das menschliche Trüffelschwein hat stets den richtigen Riecher für neue Entwicklungen, macht seltene Kunstwerke ausfindig oder ahnt lukrative Trends voraus. Das zweibeinige Trüffelschwein ist also eine Ausnahmeerscheinung, die eine besondere Begabung mit seismografischer Feinfühligkeit und Erfahrung zu verbinden weiß – und das stets zum richtigen, also dem frühestmöglichen Zeitpunkt. Der Mensch als Trüffelschwein sucht nicht, er findet, sieht das Objekt seines Interesses stets ahnungsvoll, einem siebten Sinn gleich, über den andere in dieser Ausprägung nicht verfügen. Trüffelschwein kann man nicht werden, diese Fähigkeit ist nicht
erlernbar – man hat sie oder man hat sie nicht. Trüffelhund und Trüffelschwein dagegen werden regelrecht ausgebildet, um die arttypische Begabung ihrer hoch differenzierten Riechorgane gezielt einzusetzen. Was sich bei den Tieren mit einem Belohnungsritual zielsicher erreichen lässt, ist dem Menschen nicht möglich. Der Mensch ist, was sein Dasein als Trüffelschwein betrifft, ausbildungsresistent.
Unter den Ärzten werden diejenigen zu Recht als Trüffelschweine bezeichnet, die über eine besondere seherische Fähigkeit in der Diagnostik oder in der Einschätzung eines seltenen Krankheitsbildes haben, das sich ohne diese besondere Gabe auch nach sorgfältigster Untersuchung und aller verfügbaren Laborbefunde von Kollegen nicht sicher herausfinden ließe. Und wenn man diese besonders Begabten nicht gleich als Trüffelschwein bezeichnen will, dann doch als guten Arzt – und eben nicht als Mediziner. Dem Mediziner fehlt die Aura des Arztes, die komplexe Befähigung, die wir uns im Krankheitsfalle doch alle wünschen. Aber gibt es nicht zu viele Mediziner und viel zu wenige wirkliche Ärzte?
Ich will nicht die stets verklärte Vergangenheit
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