Puck
Büschen.
Der Hunger quält ihn. Gegen Abend erwischt er eine Maus. Es widert ihn an, rohes Fleisch zu fressen, aber er verschlingt sie. Prompt wird ihm übel, und er muß alles wieder von sich geben. Seitdem beschließt er zu hungern, geht nur immer wieder zum Wasser und säuft. Die Augen schmerzen. Die Tage fließen ineinander. Er wird immer schwächer, aber er kümmert sich schon nicht mehr darum. Eine Stimme wird immer stärker in ihm, eine Stimme, die sagt: Geh in das Dickicht, wo es am dunkelsten ist, streck dich aus und ruhe, ich werde dich hinüberführen in ein anderes Leben...
Aber eine andere Stimme sagt dagegen: Such deine beiden Freunde, suche sie bis zuletzt, du schuldest es ihnen. Wieder ruft man ihm beim Namen, stellt ihm Milch hin, wieder sagt ihm der Geruch, daß es nicht Herrchen und Frauchen sind, die ihn rufen. Und da hört er einen Ton, einen Motorenton. Er macht sich mit zitternden Beinen auf. Er hatte sich schon in das Dickicht, das dunkle, verkrochen, er kann nicht mehr sehen, er stößt ein paarmal mit dem Kopf gegen Bäume, er bricht kraftlos in die Knie, in der Nacht sind ihm wieder Ameisen in den After und die Ohren gekrochen — aber jetzt ist alles gleich. Und dann ein Pfeifen, eine Stimme — Frauchens Stimme — , und da reißt sich noch einmal alles in ihm zusammen. Ein Tor geht auf, Licht bricht herein, wie es Menschenkindern geschieht, wenn sich die Tür zum Weihnachtszimmer öffnet, ein Geruch — ein untrüglicher Geruch — er ist da — er weiß nicht, ob er es überlebt, was weiß er überhaupt vom Leben und vom Tode — er weiß nur, Frauchen ist da — er ist geborgen.
Die Insel
Die Urlaubszeit war herangekommen. Wir hatten es kaum bemerkt, so sehr waren wir noch damit beschäftigt, unseren Puck wieder bei uns zu haben. Ich hatte sehr viel in der Redaktion zu tun, aber ich dachte, wenn ich dort arbeitete, nur an daheim, wo ein wiedererstarktes kleines Pferd über die Hecken flog. So empfand ich die wachsende Spannung um mich herum nur mit einem Teil meines Selbst. Eines Abends hörte ich von der Gefährtin fast mit Überraschung, daß in einer Woche mein Urlaub beginne. »Es bleibt also bei Langeoog?« fragte sie.
»Es bleibt dabei. Was wird Puck dazu sagen, wenn er das Meer sieht?«
»Vor allem kann er uns da nicht verlorengehen. Es ist ja eine ganz kleine Insel — Im Übrigen«, fuhr sie etwas zusammenhanglos fort, »brauche ich noch einen Badeanzug. Ich habe einen entzückenden gesehen, in einem kleinen Laden, ganz in der Nähe von René Cambons früherer Wohnung.«
Ich schaute auf die Uhr: »Dann nichts wie hin. Wer hat, hat.«
»Nehmen wir Puck mit?«
»Natürlich. Von jetzt an bleibt er nie mehr allein, das können wir ihm nicht antun.«
Und dann, in jener seltsamen Schicksals-Duplizität, die wir das >Gesetz der Serie< nennen, passierte folgendes:
Wir fuhren hin, Puck wie üblich mit langem Hals auf Frauchens Schoß. Je mehr wir uns der Gegend näherten, desto unruhiger wurde er.
»Na, Pucki«, sagte die Gefährtin, »erkennst du die Gegend wieder?« Und zu mir: »Du, ich glaube, er erinnert sich wirklich!«
»Allzu angenehm können die Erinnerungen nicht sein.«
Und als habe er es verstanden, sprang Puck von Frauchens Schoß und versteckte sich hinter dem Armaturenbrett.
Da war schon der Laden. Wir stiegen aus. Puck wollte nicht mit in das Geschäft. Er setzte sich mit wackelnden Hosen neben die Eingangstür.
»Also meinetwegen«, sagte ich, »bleib schön hier. Herrchen kommt gleich wieder.«
Das Aussuchen zog sich in die Länge, endlich war die Wahl getroffen. Die Inhaberin brachte uns zur Ladentür. Draußen — kein Puck! Der Platz war leer. Ich stürzte zum Wagen — kein Puck. Ich warf Frauchens Pakete hinein und wandte mich ihr zu. Sie klammerte sich buchstäblich an die Wagentür: »Nein — nein — das nicht — bitte das nicht noch einmal — ich kann nicht mehr!« Die Ladeninhaberin brachte ihr ein Glas Wasser: »Ich habe den Hund durchs Schaufenster gesehen, ein weißer Foxel, nicht wahr? Er sah aus wie seinerzeit der Hund von Herrn Cambon.«
Ich packte sie am Arm, entschuldigte mich dann: »Ja, das war er! Haben Sie gesehen, wohin er gelaufen ist?«
»Nein, das leider nicht. Aber vielleicht zu seinem alten Haus? Hunde erinnern sich manchmal.«
Die Gefährtin riß sich zusammen: »Schnell — so mach doch schnell!«
Eine Minute später bremste ich vor Renés Haus. Wir rasten die Treppen hinauf, bis an die Bodentür, fuhren mit dem
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