Puerta Oscura - 01 - Totenreise
spirituellen Wert, die es in deiner Dimension gibt: Häuser, Autos, ganze Städte – doch alles ist leer und es herrscht keinerlei Bewegung. Dies ist eine Unterwelt, in der nur die Essenz der Dinge weiterexistiert. Verstehst du? Und inmitten dieser apokalyptischen Landschaft warten die Hausgeister darauf, wie jene Frau, die sich dir im Spiegel zeigte, dass irgendjemand auf ihr Rufen reagiert und sie befreit.«
Wieder nickte Pascal, obwohl er noch eine ganze Weile brauchen würde, um all das Gehörte zu verdauen. Doch er fragte noch weiter: »Und wovon hängt es ab, wie viel Zeit ihr hier verbringt?«, wollte er wissen und ließ seinen Blick langsam über die vielen Gestalten gleiten, die ihn umringten.
Lafayette zuckte mit den Schultern.
»Wer weiß. Ich nehme an, dass man für das, was man im Leben tut, eine Quittung bekommt«, sagte er lächelnd. »Natürlich habe ich ein paar Fehler gemacht. Eines Tages werde ich dir meine Geschichte erzählen.«
»Die Zeit vergeht hier außerdem nicht wie in deiner Welt, Pascal«, teilte ihm Runné mit. »Sie vergeht genau siebenmal schneller. Sieben Stunden in dieser Welt entsprechen einer in deiner. Das Verhältnis unterliegt den Gesetzen der Magie. Die Sieben ist eine mystische Zahl, die in den Religionen des Orients und Okzidents eine besondere Rolle spielt. Schon in Babylon wurde sie wegen ihrer Beziehung zu den vier Mondphasen verehrt, von denen jede sieben Tage dauert. Und in der Apokalypse, der Schrift über das Ende des irdischen Daseins, werden sieben Siegel erwähnt, die Gottes Menschheitsplan hüten. Und sieben Mal«, jetzt machte er ein ernstes Gesicht, »kann auch ein Wanderer Zeit im Zwischenreich verbringen, ohne sich selbst dazu zu verurteilen, für immer hierbleiben zu müssen.«
Pascal schwieg dazu; das wusste er bereits, und er wusste auch, dass er es unter keinen Umständen vergessen durfte.
»In dieser Dimension, in der wir uns befinden, ist auch das Reich der Finsternis«, fuhr Runné fort. »Es beginnt hinter den Grenzen unseres Zwischenreichs. Dort vergeht die Zeit nicht, weil dort die Unendlichkeit herrscht. Doch das spielt keine Rolle; es handelt sich um eine sehr gefährliche Zone, die du als Wanderer nicht kennenlernen wirst.«
Pascal holte tief Luft, wieder einmal überwältigt von der spektakulären Wendung, die sein altes Leben genommen hatte.
»Ich wollte euch noch etwas fragen. Warum ist der Geist jener Frau überhaupt bei mir im Spiegel erschienen? Wie konnte er … oder sie wissen, dass ich der Wanderer bin?«
»Die Öffnung der Dunklen Pforte ist so bedeutend, dass sich die Neuigkeit überall herumgesprochen hat«, bemerkte Lafayette.
»Ja, das ist den Toten nicht entgangen«, warf Runné ein. »Du hast dich in eine mächtige Person verwandelt, in dir vereinen sich Leben und Tod. Kein anderes Wesen genießt dieses Privileg. Du wirst das schon noch merken. Es könnte sein, dass du von jetzt an in deiner Welt so etwas wie das mit dem Spiegel öfter erlebst. Du musst nicht erschrecken, außer das Böse wendet sich an dich, in diesem Fall vermeidest du die Begegnung am besten. Zumindest bis du ein wenig erfahrener bist.«
Stille trat ein. Alle warteten auf Pascals Reaktion.
»Es ist unglaublich«, stellte er fest, »es kommt mir immer noch wie ein Traum vor … Ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin. Ob ich wirklich eine Hilfe sein werde, als der Mittler zwischen dem Reich der Toten und der Welt der Lebenden, mit allem, was von mir erwartet wird.«
»Du bist all dem gewachsen«, behauptete Lafayette im Brustton der Überzeugung, und um es noch einmal zu bekräftigen, nahm er Pascal in seine eisigen Arme.
Ein anderer Toter trat zu ihm, rothaarig und mit zahlreichen Sommersprossen im Gesicht. Er trug einen Schal.
»Ich bin der jüngste Verstorbene. Ich heiße Maurice Pignant.«
Pascal reichte ihm die Hand. Sie war ebenfalls kalt.
»Meine Todesanzeige war am vergangenen Sonntag, dem zweiten November, im Figar o. Du kannst nachschauen, wenn du in deine Welt zurückkehrst, dann wirst du feststellen, dass es wirklich stimmt.«
Pascal dachte, dass es bei allem, was er in der Zwischenzeit erlebt hatte, gar nicht mehr nötig war, sich zu vergewissern; er zweifelte nicht daran, dass das hier so real war wie Schulunterricht.
»Die große Entdeckung ist, dass es mehrere Dimensionen gibt, die eine einzige, große, vielfältige Wirklichkeit bilden«, schloss Lafayette seine langen Ausführungen ab.
Eine einzige Wirklichkeit. Der junge
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