Puerta Oscura - 01 - Totenreise
unterwegs, weil ich kein Grab habe, in dem ich mich während der Wartezeit ausruhen kann.«
Pascal wurde trotz der absonderlichen Situation neugierig. »Warum hast du kein …«, sagte er zögernd und hoffte, dass ihr die Frage nicht unangenehm war. »Hat man dich nach deinem Tod nicht auf einem Friedhof beigesetzt?«
Es schien ihr nichts auszumachen. »Ich habe die Welt der Lebenden vor zehn Jahren verlassen, aber man hat meine Leiche nie gefunden, also konnte man mich auch nie beisetzen; es gibt nur einen Grabstein, an dem meine Familie Blumen niederlegt.«
»Das … das tut mir leid«, sagte Pascal und es war ihm unangenehm, dass er dieses Thema angeschnitten hatte.
Doch Beatrice lachte nur. »Mach dir keine Sorgen, ich komme schon klar mit meinem Schicksal. Hier fühlt sich alles anders an.«
Pascal seufzte erleichtert und war froh über die ungezwungene Art des Mädchens. Deshalb traute er sich auch weiterzufragen: »Und wie kommst du hier zurecht? Ist ja ganz schön gefährlich …«
»Ich verlasse nie die leuchtenden Wege. Außerdem können wir umherirrenden Seelen uns viel schneller fortbewegen als alle anderen Wesen in dieser Welt. Deshalb war ich auch rechtzeitig da, um dich zu retten.«
Das Mädchen war ausgesprochen hübsch, wie Pascal sah, er konnte den Blick gar nicht abwenden. Ihre Haut war zart, fast durchscheinend, das dunkelbraune Haar fiel ihr bis auf die Schultern, und unter den engen Jeans und dem T-Shirt konnte man ihren wohlgeformten Körper erkennen. Ihre leichten Schlitzaugen und schmalen Augenbrauen gaben ihr eine exotische, asiatische Note. Sie hatte ein sanftes, ehrliches Gesicht, und Pascal schockierte die Vorstellung, dass sie tot war.
»Du … du siehst wirklich hübsch aus.« Er konnte selbst nicht glauben, dass er das gesagt hatte. Was sollte das ausgerechnet jetzt? Er log nicht und hatte auch nichts Böses getan, doch er musste an Michelle denken, und das machte ihm ein schlechtes Gewissen.
»Danke«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Der Tod hat mich ziemlich früh überrascht, ich war erst siebzehn.«
Ihre freundliche, offene Antwort macht es Pascal unmöglich, nach der Ursache ihres Todes zu fragen.
»Ich danke dir für alles, Beatrice, doch jetzt muss ich zum Friedhof Montparnass e, es ist dringend …«
»Niemand könnte dich besser dorthin führen als ich. Du wirst bereits erwartet, los.«
Umso besser, da konnte er sie weiter befragen.
***
»Sie sagen, Sie sind die Großmutter?«
Die Mitarbeiterin des Institute Anatomique Forense war nicht gerade sympathisch. Sie sah Daphne misstrauisch an.
»Ja, ich muss das Mädchen noch einmal sehen, bevor ich sie für immer verliere …«, antwortete die Wahrsagerin mit weinerlicher Stimme.
Die Mitarbeiterin zögerte. »Ihre Bitte ist ziemlich ungewöhnlich … Und wer ist der Junge da?«
Ein Arzt, der das Gespräch mit angehört haben musste, unterbrach sie. »Ich bin Doktor Marcel Laville. Gibt es ein Problem?«
Laville, der Daphne aus anderen Gründen als die Kommissarin sofort erkannt und sie auch irgendwie erwartet hatte, erfüllte ihre Bitte ohne Umschweife. Zusammen mit Dominique führte er sie zu den Kühlräumen.
Dominique bemerkte, wie seine Hände, die schweißnass waren, von den Rädern seines Rollstuhls abrutschten. Er hatte noch nie einen Toten gesehen.
Sie erreichten einen weiten Saal, blendend weiß, in dem es durchdringend aseptisch roch. Dann betraten sie einen großen Kühlraum, vollgestellt mit Tischen und Gerätschaften. Links von ihnen war eine Art riesige Metallwand, in die einzelne Fächer eingelassen waren. An jeder Tür dieser Fächer war ein Schild mit einem Namen angebracht. Als der Arzt das richtige gefunden hatte, packte er den Türgriff und zog daran. Eine Bahre rollte heraus, auf der man in einem Plastiksack die Umrisse eines menschlichen Körpers erahnen konnte. Dann öffnete Laville den Reißverschluss, und Daphne und Dominique konnten das verletzte Gesicht eines jungen Mädchens erkennen. Sie schien zu schlafen, obwohl ihre extreme Blässe verriet, dass sie tot war.
»Würden Sie uns bitte einen Moment allein lassen?«, bat Daphne. »Wir möchten uns gerne verabschieden.«
Der Arzt schien zu zögern, war dann aber einverstanden. Sein Zögern allerdings war nur gespielt, um seine Rolle auch weiterhin geheim zu halten. Er durfte nicht zu früh eingreifen. Das verlangte seine andere Identität.
Marcel lächelte. Natürlich würde er dieses seltsame Paar allein lassen, ihm war klar,
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