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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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verlorene Seelen kannte, wurde er gleich selbst zum Champion im Missionieren, zum Wunderkind.
    Ich war neu und hegte einen unerschöpflichen Hass gegen Ohio. Verm bekam mit, dass ich Smiths-Fan war, und wir fingen an, Kassetten zu tauschen. Binnen kurzem trafen wir uns auch nach der Schule. Dann kam der Moment, der immer kommt, wenn man sich mit einem wiedergeborenen Christen anfreundet: »Hör mal, mittwochabends gehe ich jede Woche zu diesem Treffen. So was wie ein Bibelkreis – nein, im Ernst, das ist cool. Die Leute sind echt richtig cool.«
    Und das waren sie. In einer Viertelstunde wurden alle meine Vorstellungen von Christen über den Haufen geworfen. Sie waren intelligenter als alle Leute, mit denen ich sonst bislang zu tun gehabt hatte (ich bin zwar nicht in Cambridge aufgewachsen oder so, aber trotzdem), sie ließen jede Absonderlichkeit durchgehen, und sie hatten dieses Licht, das alle Menschen
ausstrahlen, die nach Höherem streben. Was, gelinde gesagt, attraktiv ist. Ich fing an, Fragen zu stellen. Viele Fragen. Was ihnen sehr gefiel, denn sie hatten Antworten. So funktioniert die ganze evangelikale Bewegung. Der durchschnittliche Agnostiker rennt ja nicht durchs Leben und ist in der Lage, dir eine klare, durchdachte Begründung für die intratextuelle Inkonsistenz der Bibel zu liefern. Wiedergeborene Christen dagegen werden für Zufallsbekanntschaften mit wissbegierigen Neulingen geradezu ausgebildet. Und als Vierzehnjähriger mit unterernährten intellektuellen Ambitionen bist du eben schwer beeindruckt, wenn sich ein charismatischer Erwachsener mit dir hinsetzt und dir erklärt, dass die Geburt Christi, wenn man diese und jene Zeitspanne auf den hebräischen Kalender überträgt, mal sieben nimmt und ein Datum aus der Regentschaft von König Dingsbums einsetzt, klar und deutlich fast auf die Stunde genau in dieser oder jener Bibelpassage vorausgesagt wird, und das obwohl die vier Evangelisten keinen Zugang zu derlei Informationen hatten! Ich zumindest war schwer beeindruckt.
    Aber auch enorm inspiriert und angeregt, und zwar auf einer Ebene, die nicht meiner Naivität zuzuschreiben war. Allein das leidenschaftliche Engagement dieser Leute nahm mich gefangen: Niemand hatte mich darauf vorbereitet, dass es solche Christen gab. Woche für Woche beschäftigten sie sich mit der Intensität von Hauptseminaristen mit der Bibel. Ihr Anführer war Mole (die Kurzform für Moloch; er hatte die Gemeinde in den Siebzigern gegründet). Mole hatte einen drahtigen, schwarzen Bart und stechend blaue Augen. Meine von russischen Romanen inspirierten Fantasien über subversive, von kollektiver Inbrunst getragene Versammlungen im Untergrund fühlten sich geschmeichelt und erhielten, wie es aussah, sogar eine konkrete Form. Das hier war echte Gegenkultur, und zwar ohne den ganzen traurigen Hippie-Quatsch.
    Als ich nach einem der Treffen zu Verm sagte: »Vielleicht
finde ich zum Glauben«, umarmte er mich. Und als für mich der Zeitpunkt kam, den Weg konsequent weiterzugehen – »Jesus in mein Herz zu lassen«, so die altehrwürdige Formulierung –, beteten wir gemeinsam.
    Drei Jahre vergingen. Mein Glaube wuchs und wurde gefestigt. Verm und ich waren jetzt so was wie die Highschool-Abgesandten der Operation. Mole hatte (so wie ich selbst) herausgefunden, dass ich gut mit Worten umgehen und vor Leuten sprechen konnte; Verm und ich leiteten jetzt einmal im Monat den Bibelkreis. Wir retteten Seelen, als gäbe es kein Morgen, und sparten ein Belohnungsvermögen im Himmel an. Ich wurde nie so gut im Rekrutieren wie er, meine Stärke lag im Subtilen; Verm brachte sie dazu, dass sie uns zuhörten, und dann bearbeiteten wir gemeinsam ihre Köpfe. Witnessing nannten wir das. In der Schule war ich beliebter als früher, die Türen zu denen, die den Ton angaben, öffneten sich. Auf diesem Weg fanden viele zum Herrn. Verm und ich fuhren auf Konferenzen und zu »Exerzitien«; wir belegten kostenfreie Theologiekurse, die die Gruppe für vielversprechende junge Führungspersönlichkeiten anbot. Und die ganze Zeit fanden unsere wöchentlichen Hauskreise statt, die Basis für alles andere, immer am Freitag- und am Samstagabend, was bedeutete, dass ich bis spät nachts weg sein durfte. (Meine episkopalischen Eltern kränkte die ganze Angelegenheit zutiefst, aber es ist nicht so einfach, seinem Kind zu verbieten, so viel Zeit in der Kirchengemeinde zu verbringen.)
    Meistens fand der Hauskreis im Wohnzimmer von jemandem statt, der in

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