Pulphead
der Gruppe ziemlich hochrangig war. Sie müssen sich vor Augen halten, was für eine Ehre es war, zu Moles Kreis zu gehören. Bei den Zentralversammlungen kamen Leute auf mich zu und fragten: »Wie ist es so, jede Woche mit ihm zu reden?« Es war toll. Mole hatte einen echten Draht zum Wort Gottes. (Und eine wunderbar alt-hippieske Art zu reden; alles war bei ihm eine Aktion: Zeit für Gemeinschaftsaktion.
Lasst uns Fritten-und-Salsa-Aktion machen .) Immer hatte er seine schwere »Studienbibel« dabei; die King-James-Bibel kam für nicht konfessionsgebundene Christen nicht in Frage – zu viele Ungenauigkeiten. Wenn er den handverzierten Ledereinband aufschlug, wusste man, es ging los. Und im Ernst: Der Mann war begnadet. Trotz des etwas umständlichen Stils der New-American-Standard-Bibel konnte er eine Bibelstelle wie eine Knochenschraube in dein Bewusstsein senken und dich glauben machen, dass Christus zustimmend nickend daneben stand. Allein der Gebetsteil dauerte immer eine Stunde. Danach wurde im Garten Feuer gemacht. Mole saß dann da und rammte ein Buschmesser in den Hackblock. Er rauchte billige Zigarren und ließ uns Zigaretten rauchen. Die Gitarre machte die Runde. Wir besprachen, welcher unserer Brüder von der Sünde angefochten wurde, wer Rat brauchte. Und wir sprachen über das Ende der Welt: Es stand kurz bevor. Wir mussten so viele retten, wie wir konnten.
Ich erspare Ihnen die Aufzählung aller Gründe, warum ich mich aus dem Schoß der Gemeinde zurückzog. Sie waren nicht frei von Klischees und keineswegs nur rechtschaffen und unschuldig. Vielleicht reicht es, wenn ich sage, dass ich anfing, Bücher zu lesen, die Mole nicht empfohlen hatte. Manche davon kamen mir ziemlich klug vor – waren aber mit der Bibel nicht in Einklang zu bringen. Die defensive Theodizee, die mir Mole in vielen Nächten berauschender Bibelexegese eingetrichtert hatte, bekam Risse. Zum Beispiel die Sache mit der Hölle: Damit konnte ich mich nie abfinden. Menschen waren in der Lage, denjenigen zu vergeben, die ihnen schreckliches Leid angetan hatten, und wir alle wussten, dass wir im Vergleich zu Gott ohnehin nur Gewürm waren. Was also war genau Sein Problem? Rings um mich sah ich Menschen, die viel zu versehrt waren, um je die Chance zu haben, zu Jesus zu finden. Hatten sie es nicht verdient – mehr als wir alle sogar –, nach diesem Leben Seinen Beistand zu bekommen?
Alles am Christentum lässt sich im Rahmen des christlichen Glaubens begründen und rechtfertigen. Man muss nur dessen Prämissen bejahen. Sobald man das tut, modifiziert der Glaube die Fakten, und zwar immer auf eine nachvollziehbare Weise, bis die Fakten irgendwann ihrerseits den Glauben stärken. Der Moment, in dem es unlogisch wird, ist schwer zu bestimmen. Vielleicht gibt es ihn gar nicht. Es ist, als hielte man ein Vergrößerungsglas erst auf Armlänge von sich weg und führte es dann langsam zum Auge: Alles steht auf dem Kopf, alles steht auf dem Kopf, alles ist richtig rum. Was lag dazwischen? Falls da überhaupt etwas ist, dann ist es so flüchtig, dass man es nicht zu fassen bekommt. Deswegen kann man wahren Christen auch nicht mit Argumenten gegen ihren Glauben kommen. Was nicht daran liegt, dass sie nicht mit gründlicher Überlegung zum Glauben gefunden hätten, ganz im Gegenteil, aber der Glaube ist eine Tür, die sich hinter der Logik schließt. Was aussieht wie ein gerader Gedankengang, biegt sich zu einem Ring, der einen in seinem Inneren einschließt. Wenn das bedeutet, dass jeder vom Glauben Abgefallene nie ein wahrer Christ und folglich auch ich nie einer war, dann muss ich, denke ich, damit leben. Legt nicht die Tatsache, dass ich über meine alten Freunde nur mit apologetischem Unterton schreiben kann, nahe, dass ich nie wirklich einer von ihnen war?
Der Bruch kam im Winter meines ersten Studienjahres. Eines späten Nachmittags rief Verm mich an. Er hatte Mole versprochen, etwas für ihn zu tun, aber jetzt ging es ihm nicht gut. Nebenhöhlenentzündung. (Er hatte ständig eine Nebenhöhlenentzündung.) Ob ich schon mal von Petra gehört hätte? Eine Christenrockband, sie spielten heute in Downtown. Nach Konzerten lud ihr Sänger immer alle, die mehr über Jesus wissen wollten, hinter die Bühne ein, wo dann Leute warteten, um mit ihnen zu reden.
Der Konzertveranstalter hatte Mole angerufen, Mole hatte Verm als Freiwilligen gewonnen, und jetzt wollte Verm wis
sen, ob ich ihm aus der Patsche helfen würde. Ich konnte nicht nein
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