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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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unten richtete und seine gesamte Arbeit, sein Geld und seine Kleidung mit sich riss. Die Aufzählung der Verluste liest sich grauenvoll:
     
    »Ein großes Paket mit Medikamenten und Handelswaren, außerdem 50 Kisten, die mein Herbarium, meine Unterlagen und Sammlungen enthielten . . . Meine Bibliothek. Ich hatte meine gesamten Manuskripte bei mir, darunter 2000 Mappen und Zeichnungen, 300 Kupferstiche etc. Meine Muschelsammlung war so groß, dass sie 600.000 große und kleine Einzelexemplare enthielt. Mein Herbarium war so groß . . .«
     
    Als Josephine von dem Schiffbruch hörte, ging sie vom Schlimmsten aus. Es ist in der Tat bemerkenswert, mit welch absolutem Glauben sie sofort vom Allerschlimmsten ausging. Bis die Nachricht, dass Rafinesque überlebt hatte, Sizilien erreichte, vergingen lediglich zwei Wochen, aber da hatte sie bereits einen Schauspieler geheiratet. Besser gesagt – laut den Akten – »einen Komödianten«. Der aus Rafinesques einziger Tochter Emilia eine Sängerin machte. Mit dem Geld der Versicherung schickte Rafinesque zwei Briggs, die Indian Chief und die Intelligence , um das Mädchen abzuholen, aber sie weigerte sich mitzufahren. Ihr Bruder Charles Linnaeus war be
reits ein Jahr zuvor im Kindesalter gestorben. Rafinesque war allein.
    Es existiert ein Brief, geschrieben und aufgegeben in den furchtbaren Tagen nach dem Schiffbruch und adressiert an einen Geschäftspartner im Apennin, in dem er berichtet, noch im Wegschwimmen von dem verfluchten Schiff neue Fisch- und Pflanzenarten entdeckt zu haben. Die erste seiner merkwürdigen, unnötigen Lügen. Zumindest was die Sache mit dem Wegschwimmen anbelangt. Eine neue Fischart hat er tatsächlich entdeckt, aber das geschah an dem Pier, an dem das Rettungsboot festmachte.
    Um auszuloten, was all das mit seinem Geisteszustand anstellte, muss man nur die Veränderung seines Erscheinungsbildes beobachten. Auf dem Porträt, das als Frontispiz seiner Analyse de la Nature vorangestellt ist (veröffentlicht im Jahr 1815, dem Jahr des Schiffbruchs), sieht er zu einem faszinierenden Grad spitzmäusig aus: mit kleiner Nase und dünnem, entschlossenem Mund, die Haare in öligen Strähnen in die Stirn gekämmt. Er ist ein französischer Kobold mit, so erinnert man sich, »feinen, zierlichen Händen« und »kleinen Füßen«. Den Frauen fielen seine Wimpern auf.
    Sehen wir ihn uns drei Jahre später wieder an, als er von der Arche geht. Er ist jetzt in Hendersonville, Kentucky, und sucht den Vogelzeichner John James Audubon. In Louisville hatte er sich nach dem berühmten Mann erkundigt und erfahren, Audubon sei weitergezogen, in den Wald, wo er einen Handelsposten eröffnet habe. Rafinesque wollte unbedingt Audubons neueste, noch nicht veröffentlichte, aber in Gelehrtenzirkeln bereits vom Hörensagen bekannte Tafeln der westlichen Vogelarten sehen. Er wusste, wie gerne Audubon lokale Flora in seine Bilder einfügte, und war sich sicher, hier noch unbekannte Pflanzenarten entdecken zu können, von denen nicht mal Audubon wusste.
    Audubon ging gerade spazieren, als er bemerkte, dass die
Schiffer am Landungssteg etwas anstarrten. Und so sehen wir Rafinesque dann wieder, durch Audubons Augen, denen so wenig entging. Rafinesque trug
     
    »einen langen, weiten Mantel aus gelbem Nanking, der, noch schlimmer, mit der Zeit an vielen Stellen zerschlissen war und überall befleckt vom Saft der Pflanzen . . . [Er] hing wie ein Sack an ihm. Eine Weste aus demselben Stoff, mit riesigen Taschen und bis zum Kinn zugeknöpft, reichte bis über den Bund eines eng sitzenden Beinkleids . . . Sein Bart war so lang, wie meiner manchmal auf Wanderschaft wird, und sein dünnes, schwarzes Haar hing ihm lose über die Schultern. Seine Stirn . . . breit und vorstehend.«
     
    Ihre Begegnung hatte das Zeug, zu einer entsetzlichen Anhäufung peinlicher Unbeholfenheiten in Zeitlupe zu werden, aber aus dieser Situation fanden die beiden lächelnd, gemeinsam und in allerbester Laune heraus. Unter dem Bündel getrockneter Pflanzen, das er sich auf den Rücken gebunden hatte, ging Rafinesque gebückt wie ein Hausierer. »Raschen Schrittes« trat er auf Audubon zu und fragte, wo Audubon zu finden sei, worauf Audubon antwortete: »Das bin ich.« Rafinesque führte einen kleinen Tanz auf und rieb sich die Hände. Er überreichte Audubon ein Empfehlungsschreiben von irgendeinem wissenschaftlichen Schwergewicht drüben im Osten, wahrscheinlich von John Torrey. Audubon

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