Pulphead
einbrachte, der seine gesamte Biografie bis heute umweht.
Drei Tage nachdem sein Schiff den Anker gelichtet hatte, fing einer seiner Freunde in Philadelphia einen Brief von Jefferson ab. Man stelle eine neue Expedition zusammen, diesmal, um den Red River zu suchen. Sollte Rafinesque noch Interesse haben, würde man ihm einen Platz reservieren. Ein einmaliges Angebot, das Jefferson ausdrücklich auf Rafinesque zugeschnitten hatte. Der Präsident hatte sehr wohl erkannt, wem er da gegenüberstand, als die beiden sich begegnet waren. Jetzt mussten Rafinesques peinlich berührte Freunde Jeffersons Angebot mit der Nachricht von seiner übereilten Abreise beantworten. Die Expedition machte sich ein Jahr später auf den Weg, die Stelle des Naturforschers war mit einem Studenten besetzt worden.
Ich weiß nicht, ob Amerika Rafinesque diesen Verrat je verziehen hat, diese Glaubensschwäche. Mit »Amerika« meine ich das Land. Es hatte ihn gerufen. Er war dem Ruf nicht gefolgt. Wohin war er verschwunden?
Auf Sizilien heiratete er die blonde Josephine Vacarro. Sie bekamen einen Sohn und eine Tochter. Es heißt, er habe, ohne je einen einzigen Tropfen selbst zu probieren, einen hochgelobten Jahrgangsbranntwein produziert – so stark sein Abscheu vor Spirituosen, so instinktiv seine Kenntnis chemischer Reaktionen. Das einprägsamste Detail aus seinen sizilianischen Jahren versteckt sich in den Tagebüchern von William Swainson, einem englischen Naturforscher des frühen 19. Jahrhunderts, der sich einige Jahre mit italienischen Fischen beschäftigte und dabei Rafinesque besuchte. Swainson schreibt, Rafinesque sei oft zum Fischmarkt in der Nähe seines Hauses hinuntergegangen, wo die Fischer für ihn schon alles, das ihnen sonderbar vorkam, beiseitegelegt hatten. Auf diesem Weg entdeckte er viele neue Arten, eine sogar in Swainsons Anwesenheit. Obwohl Swainson inständig darum bat, den Fisch zu
trocknen und aufzubewahren, nachdem er gezeichnet und benannt worden war, bestand Rafinesque darauf, ihn zu verspeisen. Rafinesque ließ es sich gut gehen. Er stieg in irgendeine Art Arzneimittelgeschäft ein und verdiente einen Haufen Geld. Er heuerte Sänftenträger an, die ihn durch die Hügel trugen, und verkündete lachend, auf Sizilien gingen nur Bettler zu Fuß. Während er herbarisierte, schliefen die Männer auf der Wiese. So gingen zehn Jahre ins Land.
Als Rafinesque schließlich nach Nordamerika zurückkehrte – was er natürlich tat, denn man kann dem Schicksal nicht entkommen, man kann es nur auf Umwege führen –, konnte sein Schiff nicht in den Hafen einlaufen. Man hatte Montauk angesteuert, aber Westwinde verhinderten die Landung. Man versuchte, nach Newport durchzustechen, aber der Wind drehte und blies das Schiff zurück nach Südwesten, weswegen man schließlich wieder auf New York zuhielt.
Zwischen Long Island und Fisher's Island verläuft quer über den Meeresgrund eine Reihe gigantischer Granitbrocken, die ein Gletscher vor zwanzigtausend Jahren in der Hudson Bay aufgenommen und zehntausend Jahre später als Endmoräne hier abgelegt hatte. Seeleute nennen diese Stelle bis heute »The Race« (»Die Rille«). Die Mondphase hatte gerade gewechselt. Wahrscheinlich lagen über dem größten Felsbrocken nicht mehr als fünf Fuß Wasser, und der Kiel riss ab. Es war zehn Uhr abends, Anfang November. Das Beiboot verhedderte sich in der Takelage und schien für einen Moment mit hinabgerissen zu werden, aber das Schiff selbst, das »von der Luft im Laderaum Auftrieb bekam«, sank nicht weiter. Die Passagiere im Beiboot schnitten sich los und ruderten zwei Stunden durch die Kälte auf einen Leuchtturm zu.
Mehrere Tage lief Rafinesque wie katatonisch durch die Gegend. Seine späteren Erinnerungen an das Ereignis machen einen verwirrten Eindruck – er schreibt, er sei zu Fuß »nach
New London in Connecticut« gelaufen, aber wir wissen, dass er dort an Land ging. Ein paar Männer ruderten sogar noch zurück, um die Fracht zu retten. Voller Hoffnung versammelten sich die Passagiere am Ufer. Als jedoch die Männer die Masten absägten, um das Schiff leichter bewegen zu können, brachten sie es aus dem Gleichgewicht. Es richtete sich auf und sank, »nachdem die im Laderaum gefangene Luft in einer Explosion entwichen war«. Rafinesque sah, wie sich all das zutrug, sah, wie das Schiff explodierte, sah seine Zukunft wortwörtlich in der Schwebe hängen, sah, wie das Schicksal als ein großer Meeresgott den Daumen nach
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