Puppenbraut: Psychothriller (German Edition)
Raffaella startete erneut einen Versuch, Doreen zu überreden, und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern: „Ree, sie will mit allen ihr zugänglichen Mitteln kämpfen! Würden wir es nicht auch? Wenn es Cassy wäre? Schatz, ich bitte dich, höre dir das Ganze erst einmal an! Ich bin mir sicher, wir können ihr irgendwie helfen. Diese Frau hat so viel in den letzten Stunden durchgemacht! Bitte, lass es uns versuchen!“ Spätestens in diesem Augenblick stand fest, dass Raffaella sich in diesem Fall persönlich engagiert hatte. Ein Kardinalfehler, den sie in diesem Maße bei Ell noch nie erlebt hatte.
Sie schluckte. Als wollte sie die Zeit verstreichen lassen, schaute sie erneut aus dem Fenster auf die kleine Cassy und ihre Puppe. Nichts half. Ihre Ehefrau erwartete unerbittlich eine Antwort. Resigniert willigte sie schließlich ein. „In Ordnung, ich höre mir das nur mal an. Und dann entscheide ICH!“ Tief im Inneren wusste sie, dass die Entscheidung somit gefallen war. „Wann soll der Termin sein?“
„Sofort! Komm bitte, so schnell du kannst, in die Praxis. Ich habe Ivy bereits angerufen. Sie wird gleich bei euch sein. Es muss alles schnell gehen. Zoeys Eltern sind bereits gekommen. Ich liebe dich!“
„Ich liebe dich auch! Bis gleich!“ Doreens Stimme wurde von einem aufdringlich schrill klingenden Ton an der Tür unterbrochen. Ein braun gebranntes und wie immer gut gelauntes Mädchen stand direkt davor. Sie war das absolute Idol von Cassy.
„Hallo, Ivy! Schön, dass du so spontan kommen konntest!“ Doreen drehte sich in Richtung des Fensters und rief: „Cassy, Schatz. Ivy ist da! Ich fahre schnell zu Ell in die Praxis und brauche noch einen dicken Kuss von meinem Engel!“
„Ivvyyyy!“, ließ sich die aufgeregte Stimme ihrer Tochter wahrnehmen. Ihre Trippelschritte hallten zunächst auf der Terrasse, dann im Wohnzimmer, bis schließlich in den Flur. Cassy warf sich ihrer Babysitterin um den Hals. Schon fast verhalten, mit deutlich weniger Energie, umarmte sie ihre Mutter zum Abschied.
‘Na super! Wenn Ivy da ist, dann bin ich für gewöhnlich abgeschrieben’, dachte Doreen Bertani, einen winzigen Stich im Herzen spürend. Gleich darauf wurde sie sich der Aufmerksamkeit bewusst, die Ivy ihrer kleinen Tochter schenkte. Ree fühlte sich bei absurden Gedanken ertappt. Doch das störte die Mädchen nicht im Geringsten. Ihr liebevolles „Bis später, meine Damen!“ erreichte das Innere der bereits zugeschlagenen Tür des Kinderzimmers nicht mehr.
*****
Als Doreen Bertani die Schwelle des Privatinstituts für Angewandte Kriminologie in der Madison Avenue, einer etwas vornehmeren Gegend New Yorks, passierte, fühlte sie eine steigende Anspannung. Die Nervosität verstärkte sich, als sie das sehr modern eingerichtete Büro von Raffaella Bertani betrat, wo sie bereits von drei Menschen erwartet wurde.
Trotz des durch seine dezenten Pastelltöne warm wirkenden Raumes konnte sie etwas Bedrückendes wahrnehmen. Mit jedem noch so kleinen Schritt fühlte sie einen stetig aufsteigenden Drang zur Flucht, ohne dass sie sich diesem Gefühl entziehen konnte.
Raffaella erhob sich als Erste, um ihre Lebensgefährtin zu begrüßen.
„Doreen Bertani. Amy und Larry Andrews, Zoeys Eltern”, warf sie in den Raum, als würde diese Tatsache alles erklären. Nur die Art, wie sie ihren Nachnamen aussprach, mit einem leicht italienischen Akzent, verriet ihre wahre Herkunft. Ansonsten war ihr Englisch makellos akzentfrei.
„Guten Abend“, sagte Doreen mit Bedacht, um Zeit zu gewinnen, sich der Stimmung anzupassen. Alles in ihr schrie plötzlich ganz laut danach, aus diesem ihr vertrauten Raum zu fliehen. Um der Wahrheit zu entkommen, die sich in wenigen Momenten um sie legen würde wie eine hungrige Boa Constrictor um den Hals seines zum Tode geweihten Opfers. Sie spürte langsam, wie ihre Kehle sich zuzuschnüren begann, um ihr die Luft abzutrennen. Sie schluckte lautlos.
„Hier“, sagte die anwesende Frau und gab Doreen ein Bild in die Hand. „Das war vor ungefähr acht Jahren! Meine Tochter mag viel größer geworden sein, doch für mich bleibt sie immer so wie auf diesem Bild! Mein Baby! Wo ist sie bloß?“ Das Schluchzen bewirkte, dass die Frage abgebrochen klang, was wohl jede mitleidende Mutter bis ins Mark traf. Doreen schaute widerwillig auf die ihr gereichte Fotografie. Das, was sie sah, würde sich in ihrem Kopf bis in alle Ewigkeiten einbrennen,
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