Puppengrab
Lautstärke so weit hoch, dass sie gerade eben noch etwas verstehen konnte.
»… im Ellis Park, wo der mutmaßliche Serienmörder Chevy Bankes verdächtigt wird, eine Mutter und ihre Tochter als Geiseln zu halten – was höre ich gerade?«
Die Chefsprecherin verstummte, lauschte in ihre Ohrstöpsel und fuhr dann fort.
»Wie wir gerade erfahren, soll es ein Treffen mit Chevy Bankes geben …«
Beth drehte die Lautstärke eine Stufe höher.
»Wir sprechen mit Chuck Strommen, der sich im Ellis Park aufhält. Chuck, können Sie uns mitteilen, was gerade passiert?«
Eine männliche Stimme erklang, das Bild des dazugehörigen Reporters erschien in einem winzigen Ausschnitt in der rechten oberen Ecke des Bildschirms.
»Nun, Melissa, wir wissen bislang, dass sich Corey Dunwoody, ein freischaffender Journalist, mit dem FBI angelegt hat, als er hier im Park Aufnahmen machen wollte. Trotzdem ist es ihm gelungen zu filmen, und ich möchte die Zuschauer daran erinnern, dass es sich bei den folgenden Bildern um eine Live-Übertragung handelt …«
Beth hielt den Atem an. Da war Neil, mit offenem Hemd, der über den Rasen im Park ging. Was, zur Hölle, tat er da?
»Wie Channel Two soeben erfahren hat, handelt es sich bei dem Mann, der Bankes treffen wird, um den achtunddreißigjährigen Neil Sheridan, der ohne die Zustimmung des FBI operiert. Unsere Zuschauer erinnern sich vielleicht, dass Sheridan, ein ehemaliger FBI-Agent, seit Beginn an diesem Fall mitgearbeitet hat. Vor einigen Tagen trat er als, ich zitiere, ›Berater‹ in Erscheinung und galt als mutmaßliche undichte Stelle für wichtige Informationen …«
Beth sah voller Entsetzen auf den Bildschirm. Bankes treffen? Ohne die Zustimmung des FBI ? Verdammt, verdammt, verdammt.
»… wenn es nach dem FBI ginge, wären wir jetzt nicht live dabei, denn wie vorherige Aufnahmen zeigen …«
In dem kleinen Ausschnitt am Bildschirmrand erschien ein Video, das zeigte, wie ein Reporter von Beamten des FBI angebrüllt und weggedrängelt wurde, während man ihm drohte, seine Kameras zu konfiszieren. Die Worte
Zuvor aufgenommen
erschienen in dem Video, während auf dem restlichen Bildschirm das Wort
Live
zu sehen war und Neil, der langsam einen Weg entlangging.
Beth rieb sich mit den Handflächen über die Augen und sah wieder auf den Bildschirm. Sie versuchte, sich auf das Geschehen zu konzentrieren und die Kommentare auszublenden, hatte aber gleichzeitig die Befürchtung, sie könne etwas verpassen. Neil ging mit leeren Händen durch eine sanft gewölbte Senke. Sein Hemd stand offen, und er ging nicht mit der natürlichen Eleganz, die er sonst gewöhnlich an den Tag legte. Seine Bewegungen waren verkrampft und steif.
Plötzlich verlangsamte er seine Schritte, zögerte und bewegte sich nach rechts, während er gleichzeitig eine Pistole aus der Tasche zog und auf den Eingang eines niedrigen Tunnels gerichtet hielt.
Die Kamera zoomte näher heran, und Beth blieb das Herz stehen. Eine Waffe war auf ihn gerichtet.
Beth konnte nicht atmen. Neil stand schussbereit da und konnte selbst jede Minute erschossen werden, im Hintergrund kommentierte der Reporter wie ein aufgeregter kleiner Junge das Geschehen eines spannenden Films. Neil schien der Person, die die zweite Pistole hielt, einer Frau, etwas zu sagen, dann erstarrte sein Körper, und Beth hätte am liebsten geschrien:
Lauf weg! Lauf weg!
Doch noch während sie dies dachte, ließ er die Waffe sinken und spreizte die Finger. Beth sah mit blankem Entsetzen zu und betete, dass auch die andere Waffe fallen gelassen wurde. Doch das geschah nicht. Ein Mündungsfeuer blitzte auf, dann fiel Neil zu Boden.
Jetzt.
Heinz bellte wie auf Befehl, und Chevy ließ ihn laufen.
Abby sah ihn, quiekte erfreut auf und rannte auf Heinz zu. Evan Foster joggte ihr mit offenem Mund hinterher, der Drachen schoss in die Luft empor wie ein gefüllter Ballon, in den ein Loch gepiekt wurde. Die Schnüre zerrten an seinen Fingern. Die beiden Wächter griffen nach ihren Waffen, dann beobachteten sie Heinz und Abby bei ihrem fröhlichen Wiedersehen.
Chevy pfiff.
Ein zweites Mal, er hatte zwar zwei Mal pfeifen müssen, aber dann kam Heinz durch die Bäume zurückgerannt. Und Abby folgte ihm.
Braver Hund.
[home]
48
S chock.
Kummer.
Beth saß wie erstarrt auf der Bettkante.
»Melissa«,
sagte der Reporter vor Ort, und seine Stimme klang schrill, als er die Worte hastig ausstieß.
»Sheridan ist getroffen, Sheridan ist getroffen.
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