Puppengrab
verlieren.
»Stehen bleiben!«, rief Neil.
Er hielt die . 22 er ausgestreckt vor sich. Eine . 380 er Glock zielte auf ihn. Dann folgte eine weibliche, stockende Stimme: »Bleiben Sie, wo Sie sind.«
Neil blinzelte. Das war eine Frau, um Himmels willen, und sie klang schwach und zu Tode verängstigt. Die Waffe zitterte in ihren Händen. Neils . 22 er war unverändert auf sie gerichtet, beide Waffen schussbereit und nur zwanzig Meter voneinander entfernt. »Ich werde Sie nicht verletzen, Herzchen. Legen Sie die Waffe auf den Boden.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, wiederholte sie. Sie war noch jung, Mitte zwanzig. Ihre linke Wange hatte eine tiefe Risswunde, mit hässlichen, violetten Fleischwülsten und verkrustetem Blut an den Rändern. Auf ihrem Schoß saß eine Puppe. »Ich werde Sie er-erschießen«, stammelte sie. »Nicht näher kommen.«
»Hören Sie zu«, sagte Neil. Baue Vertrauen auf, lass sie sich beruhigen. Alberner Gedanke, wenn man bedachte, dass sie und ihre Tochter schon seit dem Nachmittag die Geiseln eines Psychopathen waren und Neil seine Pistole, wenn auch nur eine kleine, auf den Punkt zwischen ihren Augen gerichtet hielt. »Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Wir haben vorhin miteinander telefoniert.«
Die Frau schüttelte den Kopf. Zuckende, kleine Bewegungen, die Neil zeigten, dass sie kurz vor dem Zusammenbruch stand.
»Lassen Sie die Waffe fallen, und ich bringe Sie nach Hause.«
»E-er hat meine T-tochter. Er hat Samantha.« Tränen strömten ihr über die Wangen. »Ich m-muss Sie umbringen.«
Was?
»Hören Sie …«
»I-ich muss Sie umbringen, dann lässt er sie frei. Das hat er gesagt. Es t-tut mir leid …«
»Stopp. Hören Sie mir zu.« Es war fast unmöglich, die Ruhe zu bewahren. Bankes hatte die Frau als Neils Mörderin eingespannt. Dieser Scheißkerl. »Sie müssen mich nicht umbringen. Bankes wird es nicht erfahren, und ich helfe Ihnen, Ihre Tochter zurückzubekommen, das verspr…«
»Er wird es erfahren. Und dann wird er sie umbringen.« Sie weinte, hielt aber ihre Waffe weiterhin auf Neil gerichtet. »Ich muss Sie töten. Damit er es im Fernsehen sieht. Nur dann lässt er Samantha gehen.«
»Er lügt. Er will Sie bloß benutzen. Ich kann Ihr kleines Mädchen zurückholen.« Seine Gedanken überschlugen sich, er musste diese Situation in Lichtgeschwindigkeit für sich entscheiden: dreißig Agenten mit modernstem Waffenarsenal, eine offene Wiese, Dreckskerle von Fotografen, die nach der Story geierten. Eine Idee nahm vor seinen Augen Gestalt an. Er ließ die Waffe sinken und hob kapitulierend die Hände. »Hören Sie mir zu«, sagte er zu der Frau und hoffte, dass sie dazu noch in der Lage war. »Schießen Sie nicht, hören Sie zu …«
Beth trat die Bettlaken mit den Füßen zur Seite. Sie konnte nicht schlafen, doch sie wusste, dass Juan glaubte, sie sei vor Erschöpfung eingeschlafen. Auch das Eindösen wollte ihr nicht gelingen, sie konnte nichts anderes tun, als im Bett herumzuliegen und sich zu fragen, was Neil vorhatte. Und wo Bankes steckte.
Sie stand auf, tapste barfuß zum Fenster und sah hinaus. Zu ihrer Linken entdeckte sie Abby und Evan und ein paar FBI -Agenten, die wie Wachtürme auf der Wiese herumstanden. Ein Flugdrache in der Form eines echten Drachens taumelte unkontrolliert durch die Luft. Beth lächelte. Sie hatten nicht viel Glück, ihn oben zu halten, aber Abby machte es sichtlich Spaß. Und das war viel wichtiger als alles andere.
Sie ging zur Tür, hielt aber inne, die Hand schon auf dem Knauf. Nebenan wurde der Fernseher eingeschaltet. Das musste Juan sein. Die Stimme des Moderators klang drängend, als er eine Eilmeldung verkündete.
»FBI … Ellis Park … die Jagd nach Chevy Bankes …«
Beth spitzte die Ohren.
»In Form einer G.I.-Joe-Puppe, der in die Brust geschossen wurde …«
Entsetzt wich sie einen Schritt zurück. G.I. Joe? Verdammter Neil, warum hatte er ihr das nicht gesagt? Und ihr stattdessen empfohlen, ein Nickerchen zu machen und mit Abby zu spielen und alles ihm zu überlassen.
Sie ging auf Zehenspitzen zum Bett zurück und schaltete den fünfzehn Zentimeter kleinen Schwarzweiß-Fernseher ein, der auf ihrem Nachtschränkchen stand. Sie drehte den Ton ab, damit Juan sie nicht hörte, dann ging sie die Sender durch, bis sie etwas gefunden hatte, das nach Nachrichten aussah. Sie musste nicht lange suchen, es wurde auf fast jedem Sender darüber berichtet. Sie blieb bei Channel 2 hängen und drehte die
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