Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
deutlich erkennbare Tränensäcke. Sie musste etwa Anfang fünfzig sein, schien sich jedoch über einen Mangel an Energie nicht beklagen zu können.
»Sind Sie zu Fuß hergekommen?«
»Oh ja«, sagte sie und blickte auf ihre offenen Sandalen hinab. »Hat mich überrascht, dass Sie nicht zuerst zu mir gekommen sind.«
»Ich wollte mich vorher noch ein bisschen umsehen. Wo genau haben Sie diese Puppe eigentlich gefunden?«
Sie zeigte auf den Wasserfall. »Direkt dort drüben am Ufer. Sie war ganz trocken.«
»Warum betonen Sie das so?«
»Weil Sie sich gewiss gefragt haben, ob der Bach die Puppe dort angeschwemmt hat.«
Rebus schwieg sich darüber aus, was genau er gedacht hatte, doch sie schien ihn ohnehin zu durchschauen und stand jetzt wieder wippend da.
»Außerdem lag sie ein ganzes Stück vom Wasser entfernt im Gras«, fuhr sie fort. »Unwahrscheinlich, dass jemand sie zufällig dort verloren hat. Hätte doch auffallen müssen, und dann wäre der Betreffende sicher zurückgekommen, um die Puppe zu holen.«
»Schon mal daran gedacht, in den Polizeidienst einzutreten, Miss Dodds?«
Sie schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Also bitte, ich heiße Bev.« Auch wenn sie auf seine Frage nicht einging, war deutlich zu erkennen, dass sie sich geschmeichelt fühlte.
»Sie haben die Puppe nicht zufällig dabei?«
Sie schüttelte den Kopf so heftig, dass ihr das Haar wieder ms Gesicht fiel und sie es abermals zurückstreichen musste. »Nein, die hab ich unten im Haus.«
Er nickte. »Wohnen Sie schon lange in der Gegend, Bev?«
Sie lächelte. »Hört man gleich an meinem Akzent, nicht wahr?«
»Richtig, Sie sprechen etwas anders als die Leute hier«, pflichtete er ihr bei.
»Eigentlich komme ich aus Bristol, und dann habe ich viel zu lange in London gelebt. Nach der Scheidung bin ich mehrmals umgezogen, bis ich schließlich hier gelandet bin.«
»Und wie lange wohnen Sie schon hier?«
»Fünf, sechs Jahre. Aber für die Einheimischen ist mein Häuschen bis heute die ›Swanston-Hütte‹.«
»Ist das der Name der Leute, die früher dort gewohnt haben?«
Sie nickte. »Ja, so ist das hier in Falls, Inspektor. Wieso lächeln Sie?«
»Weil ich nicht sicher war, wie man den Namen ausspricht.«
Sie begriff sofort, was er meinte. »Ja, wirklich merkwürdig. So ein mickriger Wasserfall - und dann der Name ›Falls‹. Kann niemand so recht erklären.« Sie hielt inne. »Früher hat es hier mal Bergbau gegeben.«
»Kohlebergbau? Hier in der Gegend?«
Sie wies mit dem Arm Richtung Norden. »Ungefähr ein, zwei Kilometer weiter dort drüben. Aber anscheinend waren die Minen nicht sehr ergiebig. Das muss so in den Dreißigern gewesen sein.«
»Und in der Zeit ist auch der Ortsteil Meadowside entstanden.«
Sie nickte.
»Aber jetzt gibt es hier keinen Bergbau mehr?«
»Nein, schon seit vierzig Jahren nicht mehr. Ich glaube, die meisten Leute in Meadowside sind arbeitslos. Das kleine Stückchen Rasen da, das ist nicht die Wiese, nach der Meadowside benannt wurde, wissen Sie. Als die ersten Häuser gebaut wurden, gab es da eine richtig schöne, große Wiese, aber dann brauchte man mehr Wohnungen, und sie haben die Wiese einfach zugebaut.« Wieder erschauderte sie und wechselte rasch das Thema. »Meinen Sie, Sie können Ihren Wagen hier oben wenden?«
Er nickte.
»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte sie, während sie bereits den Rückzug antrat. »Ich mach mich schon mal auf den Heimweg und koch uns einen Tee. Also, ich erwarte Sie bei mir zu Hause, Inspektor.« »Ja, die Töpferei betreibe ich schon eine ganze Weile«, sagte sie und goss Wasser in die Teekanne.
»Anfangs hab ich das als Therapie gesehen«, fuhr sie fort. »Nach der Trennung.« Sie hielt kurz inne. »Doch dann hat sich gezeigt, dass ich ziemlich begabt bin. Das hat wohl einige meiner alten Freunde enorm überrascht.« Die Verbitterung, die aus ihren Worten sprach, gab Anlass zu der Vermutung, dass diese Freunde in Bevs Leben inzwischen keine Rolle mehr spielten. »Natürlich lässt sich die Töpferscheibe auch als Rad des Lebens deuten«, sagte sie dann, nahm das Tablett vom Tisch und komplimentierte Rebus nach nebenan in ein Zimmer, das sie als »Salon« bezeichnete.
Die Wände des niedrigen kleinen Raumes waren mit hellen Mustern verziert. Außerdem waren dort diverse Töpferwaren ausgestellt, die nur von Beverly Dodds selbst stammen konnten: glasierte blaue Gefäße und Schalen. Rebus gab seiner Gastgeberin zu verstehen, dass er die
Weitere Kostenlose Bücher