Puppenspiele
Verfassung, diese schrecklichen Ereignisse zu repetieren. Wenn ich Sie also bitten dürfte!«
Martha Weiningers auffordernde Kopfbewegung wies zur Tür. Christian beherrschte sich nur mit Mühe und wandte sich, Martha ignorierend, an Sybille Weininger: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir ein paar Worte mit Ihnen wechseln könnten.«
Doch Sybille erwies sich folgsam wie ein Kleinkind: »Meine Mutter hat recht. Ich gehe lieber wieder auf mein Zimmer.«
Mit dem gleichen kraftlosen Gang, mit dem sie den Salon betreten hatte, schlurfte Sybille Weininger wieder hinaus und verschmolz im Flur mit dem Schatten, den die dunkel getäfelten Wände auf die Eichendielen warfen. Martha Weininger blickte ihre Gäste mit leichtem Triumph an. Denen blieb nichts anderes übrig, als Sybille auf den Flur zu folgen, wieder in die durchnässten Schuhe zu steigen und sich einigermaßen höflich zu verabschieden.
»Als die ›junger Mann‹ zu dir gesagt hat, meinte sie wohl eher ›Kakerlake‹. Das war eine Suffragette der knallharten Schule«, wetterte Christian, als sie am Straßenrand standen und er per Handy ein Taxi bestellte. Es regnete immer noch in Strömen.
»Du weißt, dass du ein beschissener Berserker bist?«, fragte Volker in einem gleichmütigen Tonfall. Er war der Einzige, der mit Christian so reden durfte.
»Ja.« Genau wie seine Kollegen besuchte Christian brav jede Fortbildung in Vernehmungstechnik. Von Anna hatte er zudem eine Menge gelernt über neurolinguistisches Programmieren, über Rapport, Pacing, Matching, Leading und jede Menge anderen nützlichen Kram. Doch wenn er jemandem gegenübersaß, der ihm zutiefst zuwider war, gingen seine Gefühle mit ihm durch und er begann unkontrolliert zu provozieren. »Ich war unprofessionell und komplett idiotisch. Beim nächsten Zeugen, den ich am liebsten erwürgen möchte, halte ich einfach meine Klappe und überlasse ihn dir.«
»Dann wäre das ja geklärt«, meinte Volker und winkte das Taxi heran, das am Ende der Allee auftauchte. Kaum saßen sie im Wagen, meldete sich Karen bei Christian. Sie hatten die Berliner Leiche identifiziert. Die Mutter der Toten wollte dringend mit dem Chef des Ermittlungsteams reden.
»Wohin soll’s denn jetzt gehen?«, fragte der Taxifahrer ungeduldig.
»Zum Bahnhof«, sagte Volker. »Und dann zum Flughafen.«
»Gleich zum Flughafen«, korrigierte Christian.
Das Reisen war eines der wenigen Dinge, die er an seinem Job hasste. Dabei hätte ihm gerade die Notwendigkeit des Reisens klar vor Augen stehen müssen, als er zum Chef der bundesweiten Sonderkommission ernannt wurde. Schließlich war die Grundidee, die hinter der Soko Bund stand, reisenden Mördern das Handwerk zu legen, ohne Zeit- und Reibungsverluste durch ständig wechselnde Zuständigkeiten in den einzelnen Bundesländern. Christian war damals von der Sinnfälligkeit dieses Konzepts so überzeugt gewesen, dass er nicht bedacht hatte, seinen mobilen Kunden auch mit dem Flugzeug hinterherhetzen zu müssen. Bei dem Gedanken, mal wieder in einen dieser fliegenden Särge zu steigen und dem sicheren Tod durch einen winzigen Fehler in der Technik oder einen depressiven Piloten oder irgendeinen blöden Vogelschwarm ins Auge zu sehen, bei dem ihm Stahlteile die Eingeweide zerfetzen würden, begann er jetzt schon zu schwitzen. Aber er wollte nicht erst mitten in der Nacht in Berlin eintreffen und das Gespräch mit der Mutter des neuen Opfers Striebeck überlassen. Der Fall in Berlin war brandheiß. Es galt, keine Zeit zu verlieren.
Berlin.
Die Landung war mit einem simulierten Absturz vergleichbar.
Seit Wochen schon fegten ungewöhnlich heftige Sommerstürme über Deutschland. In einen davon geriet die Maschine bei ihrem Anflug auf Berlin. Böen von etwa neun Beaufort warfen die Boeing von einer Seite zur anderen, sodass die Tragflächenspitzen den Asphalt zu streifen drohten, und hoben die Maschine kurz vor Bodenkontakt wieder in die Luft, um sie dann wie mit einem gezielten Fausthieb auf der Landebahn niederzustrecken. Etwa die Hälfte der Passagiere, darunter selbst hartgesottene Vielflieger, schrie bei der unsanften Landung auf. Christian krallte sich mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem in seine Armlehnen, die Knöchel weiß vor Anstrengung, das Hemd komplett durchgeschwitzt.
Nach einer stummen Taxifahrt wurden sie von Striebeck im Polizeipräsidium empfangen. Es war inzwischen fast zehn Uhr abends. Man sah Striebeck an, dass er in den letzten vierundzwanzig
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