Puppenspiele
Stunden kaum geschlafen hatte. Er sah fast so elend aus wie Christian, der die Überreste seiner Todesangst noch im Flughafengebäude in die Keramik gespuckt hatte. In Striebecks stickigem Büro saß Herd und telefonierte mit Daniel in Hamburg. Karen fehlte. Sie hatte die vergangene Nacht und weite Teile des Tages mit der Obduktion der Leiche und den dazugehörigen Untersuchungen verbracht und war ins Hotel gefahren, um sich für ein paar Stunden hinzulegen.
Striebeck öffnete die Fenster, um die vom ausgiebigen Regen frisch gewaschene Luft hereinzulassen. Er bot Christian und Volker Platz an, was bei den engen Räumlichkeiten und mangelnden Sitzgelegenheiten gar nicht so einfach war. Volker drehte einen leeren Papierkorb aus Metall um und nutzte ihn als Hocker. Selbst so niedrig sitzend wirkte er noch wie ein Furcht einflößender Riese.
»Die junge Frau aus unserer Holzkiste hieß Catrin Rahnberg, 23 Jahre alt. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin.« Striebeck wandte sich an Christian. »Ihre Mutter hat sie gestern Morgen als vermisst gemeldet. Sie sitzt seit zwei Stunden im Nebenzimmer und wartet auf dich. Irgendeine Labertasche hier im Präsidium hat ihr gesteckt, dass die Soko Bund an dem Fall dran ist.«
»Hat Karen schon ihre Obduktionsergebnisse vorgelegt?«, wollte Christian wissen.
»Der Bericht ist noch nicht fertig geschrieben. Aber sie hat gesagt, dass die Todesursache eine Überdosis Narkosemittel ist, das Herz post mortem entfernt und die Leiche dann mit einem speziellen Stoff konserviert wurde. Den Rest erfährst du von ihr. Sie wollte von dir im Hotel angerufen werden, wenn ihr eingetroffen seid.«
Christian winkte ab: »Wir wecken sie, wenn wir selbst im Hotel sind. Das kann noch dauern. Wie ist die Mutter? Was weiß sie?«
»Ich habe ihr nur gesagt, dass ihre Tochter erstickt wurde. Sie weiß weder von dem fehlenden Herzen noch von der Nachricht auf dem Zettel. Das wollte ich dir überlassen. Karen hat die Leiche über den Zahnbefund identifiziert. Trotzdem wollte die Frau ihre Tochter sehen. Sie hat darauf bestanden. Wir haben ihr nur das Gesicht gezeigt, der Körper war abgedeckt.«
Christian nickte: »Gut. Wir halten vorerst ein paar Details zurück, um die Schmeißfliegen von der Presse soweit es geht auszubremsen und um falsche Geständnisse von den üblichen Irren ausschließen zu können. Kann man mit der Mutter vernünftig reden? Oder ist sie hysterisch?«
Striebeck schüttelte den Kopf: »Dann würden wir sie wohl kaum allein irgendwo rumsitzen lassen. Sie heißt Petra Rahnberg, Professorin für Literaturwissenschaften an der Humboldt. Sehr gefasst, sehr klar im Kopf, sehr bestimmt.«
Christian wusste sofort, was Striebeck gemeint hatte, als er Petra Rahnberg im geräumigeren Nebenzimmer gegenüberstand. Sie war eine attraktive Frau Anfang fünfzig und strahlte die unterkühlte Schönheit von Catherine Deneuve aus. Alles an ihr war perfekt, jedes Haar lag an seinem Platz, keine Träne hatte die dezent aufgetragene Wimperntusche verwischt.
»Frau Rahnberg, ich bin Christian Beyer und leite die Untersuchung.« Auch Volker stellte sich vor. Striebeck war mit Herd in seinem Büro geblieben, um Frau Rahnberg nicht durch ein zu großes Aufgebot zu irritieren. Christian allerdings gewann schnell den Eindruck, dass Frau Rahnberg sich nicht so leicht irritieren ließ.
Bevor er auch nur die erste Frage stellen konnte, hatte sie das Heft schon in der Hand: »Ich hoffe, das Fernbleiben von Hauptkommissar Striebeck deutet nicht darauf hin, dass ich ihn gekränkt habe. Ich halte es allerdings für sinnvoll, wenn ich direkten Kontakt zum Leiter der Ermittlungen habe. Selbstverständlich erwarte ich, über jeden einzelnen Schritt und Fortschritt auf dem Laufenden gehalten zu werden, und zwar ohne Zeitverzögerung.«
»Solange es im Rahmen der Ermittlungen möglich ist, gewiss, Frau Rahnberg«, erwiderte Christian reserviert.
»Sie dürfen mich Professor Rahnberg nennen. Als Erstes würde ich gerne wissen, wieso der Leiter der Ermittlungen im Mordfall meiner Tochter zuerst einmal nach Bayern fährt, statt sich hier vor Ort um alles Notwendige zu kümmern. Herr Striebeck war so unfreundlich, mir darüber keine Auskunft zu geben.«
Christian begann innerlich zu schäumen. Die war ja noch schlimmer als die Großmutter in München! Er warf Volker einen auffordernden Blick zu. Wenn er noch zwei, drei weitere Sätze mit dieser Frau wechseln musste, würde er
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