Puppenspiele
ungewöhnlich. Womit erpresst er dich?«
»Wie wohl bei den meisten Erpressungsopfern mit etwas, über das ich nicht reden möchte.«
»Es gibt also einiges über dich, was ich nicht weiß. Spannend! Wie viel hast du gezahlt? Nur, damit ich die Größenordnung deines Geheimnisses einschätzen kann.«
»Eine Million.«
Herbert pfiff leise durch die Zähne. »Dann steht dir das Wasser wohl bis zum Hals, meine Liebe.«
Clarissa blieb kühl: »Ich werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit demnächst zur Vorstandsvorsitzenden des Konzerns gewählt. Da kommt jede noch so kleine Irritation ungelegen.«
»Was weißt du über ihn?«
»So gut wie nichts. Wie er aussieht. Und dass er den falschen Namen Stephan Wöhler plus eine erfundene Biografie als Atomphysiker angegeben hat.«
»Der hat sich ja richtig Mühe mit dir gegeben. Scheint etwas Persönliches zu sein.«
»Das sind Erpressungen doch immer, oder?« Clarissa gingen Herberts scheinbar harmlose Bemerkungen auf die Nerven. Aber wenn er ihr helfen sollte, musste sie ihm Rede und Antwort stehen. Bis zu einer gewissen Grenze.
»Eben nicht, meine Liebe. Die typische Erpressung ist von rein finanziellen Motiven bestimmt. Dabei bleibt der Erpresser normalerweise hübsch im Hintergrund und plaudert mit seinem Opfer nicht über phantasievolle berufliche Werdegänge. Der Kerl war sich wohl sicher, dass du nicht zur Polizei gehen würdest.«
»Vermutlich weiß er Bescheid über meine Ambitionen, was den Vorstandsvorsitz betrifft. Das ging durch die Fachpresse. Er kann sich also denken, dass ich keinerlei Risiken eingehen werde, was meinen Ruf in der Öffentlichkeit betrifft.«
Herbert betrachtete Clarissa nachdenklich. Es war klar, dass sie um den wunden Punkt herumredete.
»Warum kommst du erst jetzt zu mir? Statt gleich im Februar? Hat er sich wieder gemeldet und will mehr Geld?«
Clarissa hielt seinem forschenden Blick stand. »Ich habe eine Art Drohung per Post erhalten und bin mir ziemlich sicher, dass sie von ihm ist. Von Geld war nicht die Rede. Noch nicht.«
»Sag ich doch: etwas Persönliches. Aber wenn du nicht reden willst … Würdest du mir diesen Drohbrief zeigen?«
»Habe ich entsorgt.«
»Das war unklug.«
Clarissa nippte schweigend an ihrem Whisky.
»Okay.« Herbert entließ sie für den Moment. »Komm morgen Abend wieder her. Dann wird Thomas Howela da sein. Er wird sich darum kümmern.«
»Wer ist das?«
»Er war früher bei der Abwehr, mehr musst du nicht wissen.«
»Ist er zimperlich?«
»Er war bei der Abwehr.«
»Diskret?«
»Er war bei der Abwehr.«
»Ist er gut?«
»Bei guter Bezahlung ist er gut. Bei bester Bezahlung ist er der Beste, den du kriegen kannst.«
»Geld spielt keine Rolle.«
Herbert nickte zufrieden. »Es wäre hilfreich, wenn du morgen die ein oder andere Information für Howela hättest. Er braucht irgendeinen Ansatzpunkt.«
»Wird er bekommen.« Clarissa prostete Herbert zu.
22. August 2009:
Tübingen.
Liesel Stamminger saß in ihrer Wohnküche und tunkte sich zum Frühstück etwas Weißbrot in die warme Milch. Wie jeden Morgen hatte ihr junger Nachbar Memet Brötchen aus der Bäckerei gegenüber mitgebracht und sie samt seiner Tageszeitung vor Liesels Tür gelegt, bevor er zur Universitätsklinik ging. Memets Tageszeitung war das Berliner Morgenecho, denn Memet war Berliner und hatte von seinen Kumpels dort zum Abschied, beim Umzug ins Schwäbisch Ländle, seine heimatliche Gazette im Jahresabo geschenkt bekommen. Liesel bekam die Zeitung immer einen Tag nach Erscheinen, aber das störte sie nicht weiter. Sie fand es schick, eine Zeitung aus der Hauptstadt zu lesen.
Die große Weltpolitik und das ewige innenpolitische Gehacke interessierten Liesel genauso wenig wie der Wirtschaftsteil. Sie mochte am liebsten Vermischtes oder Klatsch und Tratsch. In Berlin passierte von all dem weitaus mehr als im provinziellen Tübingen. Da qualmte es in der S-Bahn, da wurde eine Kassiererin gekündigt, weil sie Pfandmarken im Wert von einem Euro dreißig unterschlagen haben sollte, da beschädigte eine psychisch kranke Frau Kunstwerke in einer Ausstellung und bespuckte die Besucher. Berlin war aufregend. Liesel hatte immer mal nach Berlin gewollt, aber Erwin hatte nicht durch die Zone reisen wollen. Und als plötzlich die Mauer wegfiel, war Erwin tot und Liesel allein. Allein verreisen war nicht nach ihrem Geschmack, genauso wenig wie sie sich Heizdecken auf irgendeiner bescheuerten Kaffeefahrt andrehen
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