Puppenspiele
versucht, den Namen seines Informanten aus ihm herauszupressen. Vergeblich. Aber es war klar gewesen, dass Striebeck eine undichte Stelle bei der Polizei vermutete. Davon träumte Jochen bislang nur. Ihm war leider kein extra Bestechungs-Budget bewilligt worden. Jochen besah wieder das Foto. Im Geiste setzte er die weiß gepuderte Leiche einer jungen Frau in die Kiste. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass das Ganze einer Theaterinszenierung gleichkam. Er griff zum Telefon: »Hey, Nico vom Radio, Lust auf ein spätes Bier?«
Ein paar Kilometer weiter im Polizeipräsidium weinte Petra Rahnberg über den Fotos ihrer toten Tochter. Christian war aus Prinzip gegen dieses absolut unübliche Zugeständnis gewesen. Doch Frau Rahnberg hatte einen dermaßen selbstbewussten Auftritt hingelegt, dass er sich schließlich zum Nachgeben genötigt sah. Sie weinte still, die Tränen flossen ihr die Wangen herunter. Kein Schluchzen kam ihr über die Lippen. Christian, Volker und Striebeck saßen stumm daneben und warteten. Als sie die Fotos zurückgegeben hatte, schloss Christian die Akten sorgsam. Frau Rahnberg nahm einen Schluck aus dem Wasserglas, das Striebeck vor sie hingestellt hatte. »Was haben Sie noch?«, fragte sie.
»Frau Professor Rahnberg …«, begann Christian gewichtig.
»Nennen Sie mich Petra.«
»Gerne. Petra, es wird Ihnen sicher einleuchten, dass die Polizei bei schwierigen Mordfällen gern das ein oder andere Detail nicht an die Öffentlichkeit dringen lässt. Das hat ermittlungsbedingte Gründe.«
»Ich will alles wissen. Alles.«
»Wie ist Ihr Kontakt zu diesem Journalisten?«
»Kratz? Ich habe ihn heute erst kennengelernt. Er wird von mir nichts erfahren, was die Ermittlungen auch nur im Geringsten behindern könnte.«
»Das Problem ist, dass ich gerne entscheiden würde, was behindern könnte und was nicht.«
»Verstehe. Ich werde mich daran halten.«
»Gut, ich verlasse mich auf Sie. Was ich Ihnen jetzt zeige, gehört zur obersten Geheimhaltungsstufe.« Christian reichte Petra eine Kopie des Briefes, der bei der Leiche gelegen hatte.
Petra las ihn und schüttelte irritiert den Kopf. »Was hat das zu bedeuten?«
»Wir haben gehofft, das könnten Sie uns sagen …«, warf Striebeck ein.
»Das dritte Geschlecht ist gemeinhin eine Bezeichnung für Transsexuelle und Kastraten. Ich sehe keinerlei Zusammenhang zu meiner Tochter.«
»So weit waren wir auch schon«, merkte Christian enttäuscht an.
»Gab es in München auch eine solche Nachricht?«
Christian reichte ihr eine Kopie aus den Akten.
»Auch damit kann ich nichts anfangen. Sie?«
Christian und Striebeck schüttelten den Kopf. Nur Volker rührte sich nicht.
»Was hat die Mutter des Opfers in München dazu gesagt?«
»Es ist ihr ein Rätsel. Ich konnte leider nicht mit ihr persönlich sprechen. Sie ist immer noch … sehr geschwächt.«
Petra Rahnberg schwieg eine Weile. Dann erhob sie sich müde, gab allen die Hand und verabschiedete sich. »Ich danke Ihnen, meine Herren, dass Sie so spät noch auf mich gewartet haben. Und für Ihre Offenheit. Bitte halten Sie es weiter so und informieren Sie mich, sobald es etwas Neues gibt. Sei es auch noch so unbedeutend.«
Jochen saß mit Nico vom Radio vor einem Bier in Berlin Mitte und zeigte ihm die Kopie des Holzkistenfotos. Nico warf nur einen kurzen Blick darauf. »Kenne ich. War in deiner Zeitung.«
»Jaja. Aber nun stell dir mal die nackte, völlig enthaarte, weiß gepuderte Leiche einer jungen Frau vor, der man das Herz herausgeschnitten hat. Die Narbe ist blutrot, die Augen sind geöffnet. Blau. Alles andere rein weiß, von Kopf bis Fuß. Wie sieht das für dich aus?«
»Widerlich. Angst einflößend. Krank.« Nico nahm sein Bier und trank es in einem Zug leer, als steckte die Vision, die Jochen gerade heraufbeschworen hatte, quer in seiner Kehle.
Doch Jochen ließ nicht locker. »Jetzt sieh mal kurz von deiner Panik vor Leichen ab. Betrachte nur das Bild, das ich dir beschrieben habe. Denk nicht an den Menschen, sieh dir das Bild an.«
Nico schloss die Augen. »Ich weiß, was du meinst. Ganz weiß, nur ein roter Farbfleck, der Aufmerksamkeit erzeugt und die blauen Augen. Die völlig glatte Struktur nackter Haut in einer grob gezimmerten Holzkiste. Die Befestigung mit Draht … Wenn ich das als Foto oder Installation sehen würde – ohne echten Körper selbstredend – würde es mich wohl faszinieren.«
»Und wie würdest du die Installation interpretieren, großer
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