Puppenspiele
stimmte die sonst so fröhliche Yvonne melancholisch. Der Tod war eine theoretische Größe. Sie war erst mit ihm in Berührung gekommen, als sie für die Soko Bund zu arbeiten angefangen hatte. Nun schien er ihr zum ersten Mal greifbar nahe. Yvonne fröstelte trotz der warmen Augustsonne. Sie las weiter: »Da flogen wir, da wanderten wir, wie die Schwalben, von einem Frühling der Welt zum andern.«
Yvonne klappte das Buch zu. Sie konnte im Moment nichts damit anfangen. Yvonne hatte am vergangenen Abend in Hamburg, nachdem sie bei Christian weggegangen war, auf eigene Faust und eigene Kosten den Nachtzug nach Tübingen bestiegen. Nach dem Studium der Akte Sarah Kopper ließ die Vermutung sie nicht mehr los, Elisabetha Stamminger könnte vielleicht doch recht haben und der Mörder Sarahs mit dem von Mira und Catrin identisch sein. Yvonne war sich dessen bewusst, dass sie als kleine Studentin nicht die Kompetenz besaß, das Urteil der Tübinger Kripo anzuzweifeln. Sie wollte sich auch nicht vor Christian mit verstiegenen Behauptungen blamieren. Sie wollte nur mit Frau Stamminger reden. Genau das hatte sie ausgiebig am frühen Morgen getan. Yvonne war noch ganz übel von den vielen, viel zu süßen Kakaos, die ihr die nette alte Dame eingeflößt hatte.
Jetzt wartete sie auf die Ankunft von Christian und Volker. In einer halben Stunde würde sie die beiden vom Bahnhof abholen. Bis dahin wollte sie noch einen kleinen Bummel durch die pittoreske Altstadt der Studentenhochburg machen.
Wenig später tranken Christian und Volker den viel zu süßen Kakao bei Elisabetha Stamminger in der Wohnküche und ließen sich die Geschichte von dem Tag erzählen, an dem Sarah Kopper zu Tode gekommen war. Yvonne saß schweigend dabei. Sie war insgeheim unglaublich stolz, dass auf ihren Hinweis hin Christian persönlich angereist war, statt Volker allein oder sonst einen Vertreter zu schicken.
Genau wie sie wurde Christian hellhörig, als Frau Stamminger wieder und wieder berichtete, wie dieser Frank Sarah gedroht hatte, als sie ihm Herzlosigkeit vorwarf.
»Wissen Sie, ich lese ganz viele Krimis«, sagte Liesel selbstbewusst. Dieser Umstand war ihren Besuchern nicht verborgen geblieben, denn in jeder Ecke lagen die reichlich zerfledderten Bücher herum. Sogar die fette Katze ruhte auf einem Berg aus Liesels Lesestoff. »Und zwar nicht nur das harmlose Zeugs für ältere Damen.« Liesel lächelte und stellte frische Milch auf den Herd, um noch etwas Kakao anzurühren. »Daher weiß ich, dass Mörder ihre Vorgehensweise ändern. Was ist denn, wenn meine kleine Sarah das erste Opfer dieses Verrückten war, und er erst dadurch auf die Idee gekommen ist, den Mädchen die Herzen wirklich herauszuschneiden?«
»Das ist im Bereich des Möglichen.« Christian nippte vorsichtig an der heißen, süßen Pampe. Volker schien der Kakao zu schmecken, er trank ihn literweise.
»Und warum hat mir die Tübinger Polizei das nicht geglaubt? Die sind doch auch nicht dümmer als die Hamburger, oder?«
»Unsere Tübinger Kollegen konnten Anfang Februar nicht ahnen, dass es auch in anderen Städten zu Morden kommt, in denen das Herz eine – sagen wir mal – zentrale Rolle spielt. Und sie wissen nicht, dass sich der mutmaßliche Täter in München auch Frank genannt hat. Wir werden unsere Kollegen hier informieren. Aber Sie halten sich bitte zurück, Frau Stamminger. Das ist eine ganz heiße und geheime polizeiliche Verschlusssache, Sie verstehen!« Volker zwinkerte Liesel zu und ließ sich dankend noch einen Kakao kredenzen.
Liesel zwinkerte zurück. »Ich schweige wie ein Grab.«
»Frau Stamminger«, mischte sich Christian in das verschwörerische Tête-à-tête. »Wo Sie sich doch so gut mit Krimis auskennen, da wissen Sie doch bestimmt, was ein Phantombild ist. Sie haben uns diesen Frank ganz wunderbar beschrieben. Meinen Sie, wenn wir Sie zu einem Polizeizeichner bringen …«
Yvonne schüttelte grinsend den Kopf: »Nicht nötig, Christian. Jetzt pass mal auf! Das habe ich dir am Telefon nämlich nicht gesagt. Überraschung!«
Yvonne nickte Frau Stamminger zu. Liesel erhob sich, wischte ihre sauberen Hände an der Kittelschürze ab und zog eine Schublade auf, aus der sie einen Zeichenblock herausholte. »Ich hab früher mal eine Blumenhandlung gehabt, müssen Sie wissen«, begann sie. »Und weil Blumen so was Schönes sind, aber so schnell verwelken, hab ich angefangen, sie zu malen. Ich hab sogar mal einen Zeichenkurs mitgemacht!« Liesel
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