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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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haben.
    Er zog seine Jacke aus und hängte sie in einen der weißen Einbauschränke, als Yakko, der schwarze Labrador seines Vaters, angetrottet kam und ihn begrüßte. Er ließ sich von Michael kurz den Kopf kraulen und verschwand dann wieder durch die offen stehende Glastür in das großzügige Wohnzimmer, wo er sich faul in der Nähe des Kamins niederließ.
    Von den feinen Gerüchen magisch angezogen, ging Michael zuerst in die Küche und traf dort, wie erwartet, seine Mutter an. Sie stand am Arbeitstisch und schnitt gerade eine zweistöckige Torte auf.
    »Hallo, Mama«, rief er.

    Sie aber ließ sich nicht stören, zog seelenruhig das Messer durch ihre weiß-rote Kreation, und erst als sie damit fertig war, wandte sie sich ihm zu.
    »Gut, dass du da bist«, sagte sie, während Michael sich zu ihr hinunterbeugte, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben.
    »Sind Papa und Mr Ming im Büro?«, wollte er wissen.
    »Wo sonst?« Sie zwinkerte und widmete sich wieder der Torte, von der Michael blitzschnell eine Marzipanerdbeere klaute.
    »Lass das«, schimpfte sie.
    Daraufhin stibitzte er sich noch eine zweite und aß sie voller Genuss. Seine Mutter machte sogar das Marzipan selbst. Es schmeckte einfach großartig. Er versäumte nicht, sie für die Torte zu loben. Das tat er immer, denn sein Vater äußerte sich nur selten anerkennend.
    »Dann werde ich mich mal in die Höhle des Löwen begeben«, sagte Michael und seufzte. Gerade als er die Küche verlassen wollte, kam Harry herein. Harry, der Chef der Sicherheitsabteilung von MediCare, musste heute für seinen Vater wieder einmal Chauffeur spielen. Zu diesem Zweck zwängte er sich jedes Mal in eine Uniform, in der er aussah wie einer Comicserie entsprungen. Harry war ein Muskelpaket mit kahlem Kopf, dickem Hals und einem Geh-mir-aus-dem-Weg-Blick. Die stille Eleganz einer Chauffeursuniform war für ihn völlig ungeeignet.
    »Hallo, Harry«, begrüßte ihn Michael. »War der Flieger aus Schanghai pünktlich?«

    »Über eine Stunde Verspätung«, knurrte Harry und grinste. Dieses schreckliche Grinsen war in sein Gesicht eingemeißelt, was man auch tat oder sagte, Harry grinste. Im Grunde war er ein unangenehmer Mensch, aber sein Vater schwor auf ihn.
    Beruhigt darüber, dass Mr Ming noch nicht sehr lange im Haus war, steuerte Michael das Büro seines Vaters an. Er klopfte kurz an die Tür und trat ein. Der Raum war von einem besonders warmen gelbroten Licht durchflutet, das den Eindruck erweckte, als ginge gerade die Sonne unter. Für diesen Effekt hatte Rudolf extra einen Beleuchtungsspezialisten aus München kommen lassen und diesen Aufwand nicht ohne Grund betrieben, denn hier in seinem Büro befand sich etwas, woran wahrhaftig sein Herz hing und worauf er unendlich stolz war: seine Picasso-Sammlung.
    Rudolf war schon immer ein leidenschaftlicher Picasso-Liebhaber gewesen; oder besser gesagt, er war es seit dem Tag, an dem er - angeblich - Anfang der Sechzigerjahre Picasso höchstpersönlich auf einer Party an der Côte d’Azur kennengelernt hatte. So zumindest erzählte er es gern, doch Michael und seine Mutter bezweifelten das stark. In dieser Beziehung durfte man Rudolf nicht unbedingt alles glauben.
    Glauben durfte man ihm aber, dass die drei Picasso-Bilder an den Wänden seines Büros sowie die fünf Zeichnungen und die zwei Skizzen Originale waren. Sie stammten aus Picassos Nachlass und gehörten zu den vielen unbekannten Werken, die nach seinem Tod auf seinem Schloss in Südfrankreich gefunden wurden. Allein
aus diesem Grund waren sie überhaupt nur bezahlbar gewesen. Den Jungen mit Pfeife , der vor ein paar Jahren in New York für hundertvier Millionen Dollar versteigert worden war, hätte Rudolf sich nicht leisten können.
    Michael begrüßte Mr Ming, den kleinen, ewig lächelnden Chinesen, der gerade Jacqueline mit Hut bewunderte, das Lieblingsbild seines Vaters, und sich von Rudolf erzählen ließ, wie er es vor vielen Jahren bei Sotheby’s in Paris Heinz Berggruen vor der Nase weggeschnappt hatte. Auch für den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte hätte Michael nicht die Hand ins Feuer gelegt.
    Mr Ming jedenfalls war wieder einmal tief beeindruckt. So wie jedes Mal. Er hatte die Geschichte schon so oft gehört und kannte das Bild in allen Details, doch tat er Rudolf immer den Gefallen, beides aufs Neue zu bestaunen.
    »Haben Sie schon gehört, dass die Tests für Strycon abgeschlossen sind?«, fragte Michael den Gast.
    Mr Ming nickte. »Darüber bin ich

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