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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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eindringlich.
    Ilona Berger starrte sie an. Angst stand in ihren Augen.
    »Es gibt nichts zu bereden«, sagte sie schroff. »Nehmen Sie den Fuß aus der Tür, sonst rufe ich die Polizei.«
    Das Zittern in ihrer Stimme und die Verzweiflung darin waren Lisa nicht entgangen.

    »Gehen Sie«, keuchte Frau Berger. Dann rammte sie mit einer solchen Wucht die Tür gegen Lisas Fuß, dass diese ihn schmerzerfüllt zurückzog. Die Tür knallte zu. Lisa klingelte erneut. Vergeblich. Die Tür blieb geschlossen.
    Sie stellte sich auf die gegenüberliegende Straßenseite. Von dort aus konnte sie das Küchenfenster einsehen, hinter dem Ilona Berger jetzt stand und zu ihr herübersah.
    Fast eine Ewigkeit blickten die beiden Frauen sich an, nur getrennt durch die Straße und das Fenster. Lisa schöpfte neue Hoffnung.
    Es begann zu schneien. Der feuchte Schneeregen durchnässte ihre Jacke, und die Kälte kroch durch ihre dünnen Stiefel hindurch. Lisa aber rührte sich nicht vom Fleck, bis an dem Küchenfenster demonstrativ die Gardinen zugezogen wurden.
    Daraufhin ging sie. Doch sie würde wiederkommen, so oft, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.

6
    Michael stand im Büro seines Vaters und sah genervt zur Uhr. Es war Viertel vor zwölf. Er hätte längst weg sein müssen, doch die Standpauke seines Vaters nahm kein Ende. Geplagt vom schlechten Gewissen, ließ Michael sie über sich ergehen.
    »Ausgerechnet wenn Mr Ming da ist, will mein Sohn sich freinehmen«, schnaubte Rudolf wütend. »Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

    Michael versuchte zu protestieren. »Aber du kannst doch mit Mr Ming auch allein zu Doktor Kolberg in die Klinik fahren.«
    »Und ob ich das kann«, pfiff sein Vater ihn an. »Aber Strycon ist dein Projekt, und deshalb solltest du anwesend sein, wenn wir die Testergebnisse präsentieren.«
    Natürlich hatte sein Vater recht, und unter normalen Umständen würde er diesen Termin niemals versäumen. Doch ihm blieb nur eine einzige Woche, um Lisas Herz zu erobern, und deshalb war er hin- und hergerissen. Wie sollte sich Lisa in ihn verlieben, wenn er nicht mit ihr zusammen war? Und dass sie sich in ihn verliebte, hatte in dieser Woche absolute Priorität. Fünf Tage blieben ihm dafür, ganze einhundertzwanzig Stunden, das war nicht viel. Er musste sich mit Lisa treffen. Mr Ming hätte dafür bestimmt Verständnis, sein Vater jedenfalls hatte es nicht.
    »Bitte, Papa! Dieser Termin ist mir wirklich wichtig.« Er hasste es, sich ständig rechtfertigen und entschuldigen zu müssen - egal, ob er in den Urlaub fahren oder sich mit einer Frau treffen wollte. Manchmal wünschte er sich, ein ganz normaler Angestellter zu sein, der seinen Job jederzeit kündigen könnte.
    »Unsinn«, rief Rudolf aufgebracht. »Was gibt es denn Wichtigeres als die Firma? Wäre ich damals mit so wenig Engagement ans Werk gegangen wie du, wären wir heute pleite.«
    Michael zwang sich zur Ruhe. Es war sinnlos, mit seinem Vater zu diskutieren. Er war unsensibel und würde ihm noch vorschlagen, sich nur dann mit einer Frau zu treffen, wenn nicht so viel zu tun wäre.

    Zwölf Uhr! So ein Mist, dachte Michael. Er hatte nicht einmal eine Telefonnummer, unter der er Lisa anrufen und seine Verspätung mitteilen konnte. Er musste jetzt gehen.
    »Ich kann meinen Termin nicht verschieben und will es auch nicht«, sagte er entschlossen und fügte hinzu: »Es geht um eine Frau. Aber ich erwarte natürlich nicht, dass du das verstehst.«
    »Um eine Frau?«, rief Rudolf entsetzt. »Ich glaube, ich habe mich verhört. Wir schließen gerade eine Produktentwicklung ab, haben den chinesischen Importeur zu Gast, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich zu amüsieren! Verschieb deine Frauengeschichten auf Zeiten, in denen wir nicht so viel zu tun haben.«
    »Dann werde ich als Junggeselle sterben«, erlaubte Michael sich zu bemerken.
    »Sei froh«, knurrte Rudolf, »mit Frauen hat man sowieso nur Ärger, lass dir das von mir gesagt sein.«
    »Das würde ich aber gerne selbst herausfinden«, entgegnete Michael, »und deshalb bitte ich dich, heute Nachmittag allein mit Mr Ming zu Dr. Kolberg zu fahren. Die Tests sind abgeschlossen und gut verlaufen. Es ist ein reiner Höflichkeitsbesuch. Bitte, Papa …«
    Hatte er auf Entgegenkommen gehofft, war er im Irrtum. Sein Vater war durch nichts zu erweichen. Somit musste Michael sich allein entscheiden, für Lisa oder für Mr Ming. Wie seine Entscheidung ausfiel, stand allerdings von vornherein fest. Deshalb tat er

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