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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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sehr erfreut, und Ihr Vater meinte, wir werden noch vor den Schweizern mit Strycon auf den Markt gehen können.« Er sprach gutes Deutsch, nur mit einem leichten Akzent, da er die ersten zehn Jahre seines Lebens mit seinen Eltern in Hamburg verbracht hatte.
    »Das ist richtig«, bestätigte Michael. »Das wird uns ein riesiges Umsatzplus bescheren.«
    »Das höre ich gern«, sagte Mr Ming. Dann nahm er das Glas mit dem teuren Cognac, das Rudolf ihm reichte, und meinte: »Jetzt, da die Chinesen am liebsten essen
und trinken, was aus dem Westen kommt, brauchen sie auch ihre Medizin für den Magen.«
    Michael und sein Vater lachten.
    »Trinken wir auf Strycon«, rief Rudolf gut gelaunt.
    »Und darauf, dass wir die Ersten sind«, fügte Mr Ming hinzu und trank sein Glas mit einem einzigen Schluck leer.

    Nachdem der Gast verabschiedet war, ging Michael die Treppe hinauf in sein Zimmer. Er bewohnte noch immer sein Jugendzimmer, obwohl es am Haus einen Anbau gab, der nur darauf wartete, von ihm bezogen zu werden. Da dieser für ihn alleine aber zu groß war, hatte er sich entschieden, weiterhin in seinem Zimmer zu leben, zumal hier alles war, was er brauchte - seine Bücher, sein Schreibtisch und der Blick auf den See, der ihn jedes Mal inspirierte, wenn er seinem Hobby nachging: dem Schreiben. Dann saß er an seinem Laptop und schaute über die alte Trauerweide hinweg aufs Wasser, während in seinem Kopf die Ideen sprudelten. Leider hatte er zum Schreiben viel zu wenig Zeit.
    Er zog seinen Anzug aus, hängte ihn ordentlich auf einen Bügel, ging ins Bad und warf das Hemd in einen Wäscheschacht. Auf diese Weise gelangte es direkt in die Waschküche, wo es, spätestens am nächsten Morgen, von guten Geistern in Empfang genommen wurde.
    In einem flauschigen, frisch duftenden Bademantel ging er zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa vor dem Kamin. Das Feuer darin war nicht echt und tanzte auf einer keramischen Hightech-Holznachbildung,
doch es knisterte leise und verbreitete eine wohlige Wärme, ohne dabei Asche oder Qualm zu produzieren. Moderne Technik war etwas Faszinierendes.
    Schläfrig legte er die Beine auf einen Hocker. Erst jetzt merkte er, wie müde er war. Kein Wunder. Er hatte in der letzten Nacht kaum geschlafen, weil er fortwährend an Lisa denken musste. So viel hatte er über die angeblichen Schmetterlinge im Bauch schon gelesen, gespürt aber hatte er sie noch nie - jetzt zum ersten Mal. Ein wirklich schönes Gefühl.
    Er schloss die Augen und träumte davon, ihren Mund zu küssen und ihre süßen kleinen Brüste zu berühren. Dabei schlief er tief und fest ein.

5
    Lisa stieg in Starnberg aus der S-Bahn und wickelte sich den langen Wollschal enger um den Hals. Es war bitterkalt und wurde überhaupt nicht richtig hell. Die dicken, dunklen Wolken am Himmel gaben der Sonne keine Chance.
    Sie zog die Handschuhe an und lief los. Ihr blieb nur wenig Zeit, und sie musste sich beeilen, denn um zwölf Uhr würde Michael Westphal sie von ihrem Appartement abholen.
    Deshalb beschleunigte sie ihren Schritt und wurde immer aufgeregter, je näher sie ihrem Ziel kam. Als die ersten Einfamilienhäuser der Neubausiedlung vor ihr auftauchten, schlug ihr Herz bis zum Hals. Würde Frau Berger
sie auch heute wieder abweisen? Sie hoffte, dieses Mal die Gelegenheit zu bekommen, mit ihr zu sprechen.
    Sie ging an den Vorgärten der hübschen Häuser vorbei. Blumen mit weißen, glockenförmigen Blüten lugten aus der teilweise noch schneebedeckten Erde. Es musste schön sein, hier zu leben, wo jede Familie ein eigenes Heim hatte, wo es Gärten und Spielplätze gab und Mütter ihre Einkäufe nach Hause trugen, um ihren Kindern das Essen zu kochen. Sie hätte viel dafür gegeben, so aufzuwachsen.
    Sie bog nach links ab. Sie kannte ihr Ziel gut. Es war das weiße Haus am Ende der Straße. Unzählige Male hatte sie schon davorgestanden, wurde aber nie hineingelassen.
    Bevor sie durch das Gartentor ging, blieb sie stehen und atmete tief durch. Dann lief sie auf die Eingangstür zu und drückte entschlossen den Klingelknopf.
    Ilona Berger öffnete. Bei Lisas Anblick verfinsterte sich ihr Gesicht, und sie wollte die Tür sofort wieder zuschlagen, doch Lisa stellte blitzschnell ihren Fuß dazwischen.
    »Lassen Sie uns miteinander reden«, flehte Lisa sie an und versuchte, Blickkontakt zu ihr aufzunehmen.
    Frau Berger aber sah zu Boden und schlug heftig die Tür gegen Lisas Fuß.
    »Wir müssen miteinander reden«, rief Lisa

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