Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
faulem Fisch bewarfen? Eigentlich war ihm nach einem echten Kampf zumute. Seitdem er mit eigenen Augen im Brief des verdammten Piratenanführers Mirijams Namen gelesen hatte, wollte er Blut sehen, Cohns Blut. Wenn er es jedoch richtig anpackte, schloss das eine das andere vielleicht nicht aus.
Der Schreiber bemühte sich weiterhin, Miguels Zweifel zu zerstreuen. » Bisher lief es immer so. Wie muss es da erst unserem Kandidaten ergehen, angesichts der überdeutlichen Worte in dem Brief Chair-ed-Dins? Vergesst nicht, Kapitän, beinahe jede Familie in der Stadt hat im Laufe der Jahre schon Ladung und Vermögen, wenn nicht sogar Angehörige an die Piraten verloren. Wie werden sie reagieren, wenn sie erfahren, dass der Verantwortliche mitten unter ihnen lebt? Jakob Cohn, du kaufst dir besser heute schon einen Strick!«
Medern rieb sich die Hände.
In der folgenden Nacht übertrug ein verschuldeter Knecht des Druckereibesitzers Matt van Dijk – gegen Übernahme sämtlicher Außenstände sowie einer zusätzlichen ansehnlichen Summe, versteht sich – den Text des verräterischen Briefs klammheimlich auf Lettern. Zusätzlich fügte er das in Holz geschnittene Bildnis eines furchterregenden Piraten mit Krummsäbel hinzu. Unter der schreienden Überschrift » Verstöße eines geachteten Antwerpener Kaufherrn gegen des Heiligen Gottes fünftes Gebot: Du sollst nicht töten, gegen das siebente Gebot: Du sollst nicht stehlen, sowie gegen das zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren deines nächsten Hab und Gut!« fertigte der begabte Druckergeselle sodann in weiteren nächtlichen Arbeitsstunden auf den Maschinen seines Herrn, der nie etwas davon erfahren sollte, mehrere Dutzend fliegende Blätter an.
Die Druckerschwärze war noch nicht ganz getrocknet, da übernahm Medern schon die Verteilung der Blätter an Marktschreier und Händler.
Überall, an buchstäblich jeder Ecke und auf jedem Markt der Stadt, wurde kurz darauf die Schrift ausgerufen und vorgelesen, erörtert, zerlegt, kommentiert und weitergegeben. Leseunkundige umdrängten diejenigen, die ihnen die Worte vortrugen, andere Blätter wurden weitergereicht, wieder andere klebten plötzlich an Hauswänden. Noch vor dem Mittagsläuten schwirrte die Stadt vor Aufregung. In den Wirtshäusern und am Hafen, in allen Gassen und auf allen Plätzen standen die Menschen in Trauben beisammen. Sie tuschelten und stritten, Flüche wurden laut, und die ersten Fäuste reckten sich. Bald darauf hörte man Rufe nach Vergeltung in den Straßen. Binnen weniger Stunden war die altehrwürdige Stadt Antwerpen von den verabscheuungswürdigen Verbrechen ihres Bürgers Advocat Cohn in Kenntnis gesetzt.
Gleichzeitig erschien ein Bote von der Santa Anna im Stadthius und gab ein Bündel von Urkunden ab. Es enthielt die mit Zeugenaussagen, Unterschriften und prächtigen Siegeln des portugiesischen Gouverneurs von Santa Cruz versehenen Beweise für das Leben und die Verheiratung der Mirijam van de Meulen, der verschollenen Tochter dieser Stadt. Außerdem lag eine sorgfältige Abschrift des Piratenbriefes aus Mederns Hand bei.
Und noch während die Mitglieder des Rates ins Stadthius eilten, um über die ungeheuerlichen Anschuldigungen zu beraten, verließen fünf Männer die Santa Anna und postierten sich unauffällig rund um ein Haus am Koornmarkt.
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Tagsüber tat Kapitän Miguel de Alvaréz währenddessen das, was alle Händler anlässlich ihres ersten Besuchs in der Stadt taten: Er machte seine förmliche Aufwartung bei verschiedenen Zunftmeistern und Händlern und sprach mit ihnen über den Handel im Allgemeinen und über sich selbst als unabhängigen Fernhändler und die Qualität seiner Waren im Besonderen. So waren die Gepflogenheiten.
Die Antwerpener ihrerseits verhielten sich ebenso. Man empfing ihn mit wohlwollendem Interesse, bewirtete ihn mit Wein und lauschte höflich seinen Ausführungen. Die Santa Anna lag mittlerweile entladen am Kai unterhalb der wuchtigen Festung, und ihre Waren stapelten sich zur Begutachtung in der Handelsbeurs, der großen Lagerhalle. So hatte alles seine Ordnung.
Die Sache mit den fliegenden Blättern war ja recht nett, dachte Miguel, aber ob sie auch tatsächlich wirkte? Für seine Rechtsgeschäfte genügten solche gedruckten Zettel allein sowieso nicht, und so bemühte er sich inzwischen auch offiziell um die Rückgabe von Mirijams Erbe. Deshalb lagen seine Urkunden im Stadthius vor. Dokumente, Beglaubigungen und Papiere, voll mit Wörtern und
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