Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
vorzugehen. Hatte er Miguels Worte nicht vernommen?
Endlich hob Medern den Blick. » Natürlich will ich das, schließlich steht Eure Ehefrau, und damit Ihr, Kapitän, am Anfang einer langen, womöglich sogar sehr langen Liste. Mittlerweile traue ich ihm alles zu! Also, dieses Schreiben ist in einer Mischung aus Italienisch und Spanisch verfasst, doch ich habe es zweifelsfrei entziffert, Zeit genug hatte ich ja während der langen Rückreise. Sicher sagt Euch der Name Chair-ed-Din etwas, Kapitän?«
Miguel nickte.
Medern fuhr fort: » Es geht um ausführliche Informationen über Ladung und Route eines bestimmten Konvois, den der Advocat zu Chair-ed-Din geschickt hat. Außerdem …, ja, richtig, hier steht es«, er fuhr mit dem Zeigefinger über das Schreiben, » außerdem lobt er die zuverlässigen Lieferungen an die osmanischen Aufkäufer. Vermutlich bezieht er sich dabei auf die Erzlieferungen, über die wir bereits gesprochen haben. Gleichzeitig fordert er jedoch wesentlich verbesserte Konditionen für seinen verdeckten Handel hier in Antwerpen, widrigenfalls droht er recht unverblümt mit der Preisgabe eines alten Geheimnisses. Das steht hier.« Sein Finger lag auf der betreffenden Zeile. » Habt Ihr noch einen kleinen Schluck von Eurem Wein? Vergelt’s Gott, Kapitän. Ach ja, und dann noch dieses, das Euch unmittelbar betrifft. Wo war es denn nur?«
Mittlerweile sprach Joost Medern bereits recht undeutlich, so viel Wein war er nicht gewöhnt. Er musste einen Moment suchen, bis die gewünschte Stelle gefunden war. Dann jedoch schoss sein Finger auf das Blatt herunter. » Da haben wir es, seht Ihr? Hier stehen nämlich zwei Namen. Hah, damit sitzt der Schurke in der Falle, er kann sich drehen, wie er will!«
» Namen, Meister Joost? Himmel noch mal, nun sagt schon, wessen Namen?«
» Lest selbst! Hier steht es: Lucia und Mirijam, Töchter und Erbinnen des Andrees van de Meulen aus Antwerpen, in Eurem Auftrag gefangen genommen und zum Tode befördert …«
Miguel gefror das Gesicht. Volltreffer, dachte er, damit konnte er den Advocaten ans Kreuz nageln.
73
Gleich darauf stellte Medern die entscheidende Frage. Er deutete auf die Briefe und Münzen auf dem Tisch: » Wollt Ihr allen Ernstes bis zum Gerichtstag warten und auf die Ratsherren, die Schöffen und ihre Büttel hoffen? Und darauf, dass diese Beweisstücke in den langen Wochen, die bis zu einer Verhandlung ins Land gehen, nicht auf unerklärliche Weise verschwinden?«
» Geschieht denn so etwas?«
» Auf Falschmünzerei steht Tod durch Erhängen, für Hochverrat wird man gepfählt«, erwiderte der Kontorist trocken. » Beides Todesarten, für deren Vermeidung jeder etwas springen lässt, denkt Ihr nicht auch? Nein, wir müssen es schlauer angehen.«
» Wir sollen die Sache selbst in die Hand nehmen? Das gefällt mir! Aber hier, in Antwerpen? Ist das nicht riskant?«
» Wenn Ihr Euch gleichzeitig das Recht am Erbe Eurer Gemahlin erhalten wollt, sogar sehr. Aber mir wird etwas einfallen, gebt mir nur ein paar Tage Zeit. Und einen gut gefüllten Beutel, denn wie Ihr wisst, Gold bewirkt Wunder. Ich werde auf den letzten Heller abrechnen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
Mederns Augen glänzten wie im Fieber. » Ihr aber, Kapitän«, beschwor ihn der Schreiber, » Ihr solltet derweil Eure Honneurs machen, Euch vorstellen und Kontakte knüpfen, wie man es von einem fremden Fernhändler erwartet. Niemand darf Wind davon bekommen, dass Ihr an dem Advocaten interessiert seid, hört Ihr? Ich befürchte nämlich, dass uns der Lump sonst vielleicht durch die Lappen geht.«
Daran war viel Wahres. Der kleine Schreiber versetzte ihn, seitdem er festen Boden unter den Füßen hatte, sowieso in Erstaunen. Er hatte nichts mehr von der Jammergestalt, die sich vor wenigen Tagen noch die Seele aus dem Leib gekotzt hatte.
Vor dem schlanken, vierstöckigen Haus am Koornmarkt blieb Miguel stehen, verschränkte die Hände hinterm Rücken und ließ seinen Blick die prachtvolle Fassade emporklettern. Kannelierte Säulen und himmelwärts strebende Fenster, filigrane Bögen und Maßwerk über Erkern – bisher hatte er gedacht, derartige Baukunst sei Kathedralen oder kirchlichen Palästen vorbehalten. In dieser Stadt aber zeugten selbst die Fassaden der Bürgerhäuser vom Reichtum ihrer Bewohner und wiesen alle Welt unübersehbar auf deren Bedeutung hin. Das van-de-Meulen-Haus machte da keine Ausnahme.
Das Anwesen wirkte unbewohnt, nicht zuletzt wegen der
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