Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
überkam, aus eigener Kraft würde verlassen können, hatte Pacelli erneut im Sessel geschlafen und bei Tagesanbruch Giulio zu David, dem medicus, geschickt, dessen Salben ihn hoffentlich endlich wieder auf die Beine bringen würden. Er fütterte den Ofen, dann bewegte er sich in gekrümmter Haltung zurück zu seinem gepolsterten Sessel. Wie, zum Teufel, sollte er sich drehen, um sich einigermaßen schmerzfrei zu setzen? Mit der rechten Hand an der Wand und mit der Linken an der Armlehne abstützen? No, merda, das ging nicht gut. Vielleicht andersherum? Zum Kotzen, dass ihn die lombaggine ausgerechnet jetzt erwischt hatte. Kaum hatte er die vermaledeiten Kinderpusteln überstanden, so dass er endlich aus dem Haus konnte, um seinen Geschäften nachzugehen, überrumpelte ihn der Hexenschuss. Dieses gottverdammte Leiden, immer wieder fiel es wie aus dem Nichts über ihn her. Als wenn er es nicht sowieso jeden Tag spürte, dass seine Knochen nicht jünger wurden. Eigentlich sollte er sich in der Stadt zeigen und mit Kunden sprechen, sollte für Anfragen und Aufträge bereitstehen, sich um die neue Ladung kümmern, um möglichst bald wieder aufzubrechen. Venedig im Winter behagte ihm in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr, das nasskalte Wetter und besonders die vielen lauten Feste zeigten ihm eine Stadt, die seine Sache nicht war. Ihn zog es auf See und in die Sonne, doch daran war zurzeit überhaupt nicht zu denken. Es klopfte.
» Sî, ich komme!« Der Kapitän stützte sich an der Wand ab und schlurfte durch die Küche. Das Klopfen wurde drängender. » Wer zum Donnerwetter ist denn da?« Endlich hatte Pacelli die Tür erreicht.
Ein Straßenjunge, mager wie ein Hund und beinahe blaugefroren, trat auf der Schwelle von einem Fuß auf den anderen. » Comandante Pacelli?«
» Und? Wer will das wissen?«
» Signora Rebecca und Emmanuele vom Ponte Rialto schicken mich. Es ist wegen Signorina Sarah, haben sie gesagt, und dass sie bald ein Kind kriegt und deshalb da weg muss, wo sie jetzt wohnt, weil die Männer sie nicht in Ruhe lassen und sie sich noch die Augen verdirbt. Sie hat sogar schon am Wasser gestanden und es ist gar nicht gut für sie, so ganz allein.«
» Was redest du da?« Vor Überraschung schoss Pacelli in die Höhe. Etwas in seinem Rücken schnalzte, es knirschte, er brüllte laut auf und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Kreuz. » Santa merda! Signorina Sarah, bist du sicher?«
» Sî, Comandante.«
» Komm herein. Los, mach schon, und schließ gefälligst die Tür.«
Filippo gehorchte. In der Küche war es bullig warm. Der alte Kapitän fluchte, während er zu einem Sessel humpelte, in den er sich unter Stöhnen fallen ließ.
Wenn er in den vergangenen drei Monaten an die rätselhafte junge Sarah – die kaum etwas über sich erzählt hatte, und wenn, so wohl hauptsächlich Lügengeschichten – gedacht hatte, hatte er sie im Stillen immer » die Kleine« genannt, und bei den Gedanken an sie war ihm fast warm ums Herz geworden. Sie hatte Seemannsbeine bewiesen, diese tapfere junge Frau, sie war mutig und klug und ganz besonders liebenswürdig. Ihre klaren blauen Augen, die manchmal fröhlich strahlten, dann wieder dunkel und verschreckt schauten, hatten es ihm angetan, daran bestand kein Zweifel. Und nun ging es ihr schlecht?
» So, ragazzo, nun mal der Reihe nach. Signorina Sarah sagst du: Wo ist sie? Was ist mit ihr, wo wohnt sie, und warum ist sie nicht bei Capello? Was ist das mit ihren Augen, und wer zum Teufel ist Emmanuele? Rede, aber der Reihe nach. Und wehe, du lässt irgendwas aus!«
*
Die unnützen Dinge, die sich im Laufe der Jahre in Pacellis oberen Räumen angesammelt hatten, wo sie vergessen vor sich hin einstaubten, hatte Giulio bereits nach unten geschleppt und auf Emmanueles Karren geladen. Zunächst hatte Pacelli alles wegschmeißen wollen, aber nun würde der capo der Gassenkinder den Kram verkaufen und mit Giulio halbe-halbe machen. Gemeinsam mit dem Jungen hatte der Diener sodann Betten verschoben, Schränke umgestellt und Böden geschrubbt. Außerdem hatten sie erstmals seit Jahren in den oberen Räumen wieder Feuer in den Kaminen entzündet.
Das Haus verfügte über Kamine in mehreren Zimmern, doch weder Pacelli noch Giulio konnten sich erinnern, wann sie das letzte Mal angefeuert worden waren. Natürlich qualmte es furchtbar, so dass sich der Kapitän selbst die Treppe heraufquälte, um nach dem Rechten zu sehen. Er stand im Rauch und hustete, als habe er
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