Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
wendete langsam sein Kamel. Über die Schulter gewandt teilte er Abdul mit: » Die Karawane wird selbstverständlich stattfinden. Und zwar so bald wie möglich, schließlich haben wir unsere Abmachungen einzuhalten. Morgen suche ich den Hamam auf, danach werde ich am Mittagsgebet teilnehmen. Jetzt bricht bald die Nacht herein. Falls mich jemand sprechen möchte, ich bleibe draußen am alten r’baat, dem Sammelplatz unserer Karawane.« Er hob die Hand zum Gruß und ritt in die Dämmerung davon.
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VENEDIG
DEZEMBER 1548
Die Dämmerung brach bereits herein, als Sarah die letzten Fäden vernähte. Ihre Hände strichen die Seide glatt, dann streckte sie sich. Obwohl es draußen noch nicht vollständig dunkel war, brannte die Lampe auf dem Tisch. Zusammen mit dem Feuerschein und der Wärme des Kamins schuf deren sanftes Licht eine Oase der Behaglichkeit. Es lebte sich sowieso friedlich unter Kapitän Pacellis Dach, zumal bis hier herauf, in das obere Stockwerk des Hauses, nur wenig vom Lärm der Gassen und Plätze drang.
Yasmîna und sie benutzten die beiden kleinen Zimmer zum Schlafen und diesen großen, hellen Raum mit Blick auf den Kanal als Arbeitsraum. Zum Essen trafen sich alle unten in der Küche, neben der Kapitän Pacelli seinen persönlichen Wohn- und Schlafbereich hatte.
Noch einmal prüfte Sarah die soeben fertiggestellte Arbeit, ein Kleid mit sparsamer Weite und einem Oberteil mit hochgerutschter Taille, dann legte sie es sorgfältig zusammen. Ihr Blick fiel auf die zartgrüne Seide eines Kleides, das an der Wand hing und dessen Stickerei sie bereits vor einigen Tagen beendet hatte. Beim Ausschnitt hatte sie sich für verschiedene Blau- und Grüntöne entschieden und das gestickte Rankenwerk mit facettierten Silberplättchen durchsetzt, eine Kombination, die an das Meer erinnerte. Nun hing es hier, damit sie es noch ein wenig betrachten konnte. Die Farben hatten viel Ähnlichkeit mit den Pantoffeln, die sie zuletzt für ihren Vater verziert hatte . Diese bittersüße Erinnerung machte ihr zu schaffen.
Ob ihre Eltern sie suchten, oder hatten sie sie aufgegeben? Wenigstens ihre Mutter müsste ahnen, dass sie nach Venedig geflüchtet war. Wenn sie an ihre letzte Auseinandersetzung dachte, wurde ihr klar, dass sie sie damals absichtlich hatte verletzen wollen. Ihre Selbstgewissheit musste doch zu erschüttern sein, hatte sie gedacht, um nichts in der Welt durfte sie auch noch in diesem Punkt recht behalten.
Und, wie sah es nun damit aus? Alle Warnungen ihrer Mutter hatten sich bewahrheitet. Schlimmer noch, wenn sie in den vergangenen Monaten nicht immer wieder Hilfe von unverhoffter Seite erfahren hätte, gäbe es sie wahrscheinlich nicht mehr. Vor allem ohne Saïd und dessen Männer, aber auch ohne Kapitän Pacelli und Rebecca, ohne Emmanuele und all die anderen wäre sie inzwischen wohl kaum noch am Leben.
Wie so oft in letzter Zeit legten sich auch jetzt ihre Hände wie von selbst um ihren gewölbten Leib. Tagsüber verhielt sich das Kind meistens ruhig, sobald sie allerdings im Bett lag, brachte es sich nachdrücklich in Erinnerung, als wolle es die Mutter zwingen, sich mit ihm zu beschäftigen. Sie aber wollte nicht an das Kind oder an dessen Geburt denken, oder gar daran, wie es aussehen und welche Bedürfnisse es haben würde und ob sie diese würde erfüllen können. » Es ist munter und gesund«, hatte Rebecca gemeint, » hat eine normale Größe und wird zu Beginn des neuen Jahres zur Welt kommen.« Das neue Jahr – es waren nur noch wenige Tage bis dahin.
Es hatte einen grundschlechten Vater, daran bestand kein Zweifel, überlegte Sarah, aber war seine Mutter wirklich so viel besser? Würde sie dieses Kind angesichts seiner Vorgeschichte überhaupt lieben können? Ach, wenn doch ihre Mutter bei ihr wäre! Plötzlich schwammen ihre Augen in Tränen. Seit heute Morgen fühlte Sarah sich schwer und matt, gleichzeitig aber von einer seltsamen Unruhe erfasst, so dass sie am liebsten einen langen Spaziergang unternommen hätte. Stattdessen hatte sie den ganzen Tag an diesem Kleid gearbeitet. Wie gut, dass es nun fertig war.
Derzeit fanden überall Feste statt, so dass der Bedarf an neuen Roben mit jedem Tag stieg. Zum Glück half ihr stundenweise Yasmîna, die immer noch in Monna Giulias Hurenhaus die Mahlzeiten zubereitete, und auch Hannah, Rebeccas ältere Tochter. Das Mädchen arbeitete sorgfältig und konnte hervorragend die winzigen Perlen der Umrandungen aufnähen.
Der Ruf ihrer
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