Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
einer Dame vor, um Aufträge für mich zu erhalten.«
» Stickereimanu…? Na so was. Ihr versteht also etwas von Handarbeit?« Sarah nickte.
» Ja, wenn das so ist. Holt Euch nur das Wasser. Vielleicht liegt irgendwo ein Stückchen Sackleinen herum, daraus könnt Ihr von mir aus Vorhänge nähen, wenn Ihr wollt.« Die Wirtin strich die Haare aus der Stirn und verstaute die Münzen in ihrer Schürze. Auf der Treppe wandte sie sich noch einmal um. » Und ein Laken wird sich wohl auch noch finden, denke ich.«
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Von Tag zu Tag wurde es kälter. Zuerst hatte es immer nur geregnet, dann aber, Mitte November, zog der Winter in Venedig ein. Morgens bildeten sich am Rand der Kanäle und auf den Stufen der Wassertreppen dünne Eiskrusten, und der leichte Frost brachte die prachtvollen Fassaden der Palazzi zum Glitzern, als hätte sie jemand in Sternenstaub gewälzt. Von Vorsprüngen und Balkonen hingen gefrorene Tropfen wie Kristallperlen herunter, die sich untertags schnell auflösten.
Rebecca besuchte sie regelmäßig. Sarah hatte sogar den Mut gefunden, der mütterlichen Jüdin ihr Herz auszuschütten. Wie sehr hatte sie dabei geweint, doch was für eine Erleichterung, sich endlich einmal alles von der Seele reden zu können! Von ihrer Enttäuschung hatte sie erzählt, von den Schuldgefühlen, die sie quälten, und der Angst, wie es mit ihr und dem Kind weitergehen würde … Und so war aus ihrem Vertrauen und Rebeccas tatkräftiger Unterstützung zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen eine Freundschaft gewachsen.
Nach einer Untersuchung konnte Rebecca Sarah beruhigen: » Deinem Kind geht es gut, es hat ein kräftiges Herz. Aber Bewegung an der frischen Luft wäre in der nächsten Zeit gut.« Deshalb unternahm Sarah – warm eingepackt in ein dickes Tuch über dem geborgten Wollkleid und ausgestattet mit warmen Strümpfen und festen Schuhen – regelmäßige Spaziergänge durch das Viertel. Diese Stadt mit ihren großartigen Palästen und Kirchen hatte sie vom ersten Augenblick an fasziniert, sie schien überschwemmt mit schönen Dingen, mit geschnitzten Balustraden und Statuen aus Alabaster, mit seidenen Prachtroben und juwelenbesetzten Masken, mit goldenem Zierrat an den Gondeln und farbigem Mosaikpflaster. Einmal beobachtete sie eine Patrizierin an Deck eines Fährbootes, das durch den Canal Grande schaukelte. Sie trug eine Samtkappe, auf der Reiherfedern wippten. Außerdem hatte sie erlesene Ärmel aus grünem Brokat angesteckt, aus dessen Schlitzen die gelbe Seide eines Hemdes hervorquoll. Dieses elegante Detail schaute unter einem weichen Pelzcape hervor, so dass jedermann ihren Reichtum sehen konnte. Grazie, Schönheit und raffiniertestes Kunsthandwerk, wohin man schaute, seufzte Sarah, als sei die Stadt eine Bühne für Glanz und Reichtum. Doch sie blieb eine Zuschauerin, eine Fremde.
Anders erging es ihr an der Riva degli schiavoni, dem Hafen, wo ihre Wanderungen meistens endeten. Dort lehnte sie in einer windgeschützten Ecke, beobachtete das Treiben von Seeleuten und Arbeitern, von Fischern und Händlern und lauschte den Stimmen, die in allen Sprachen der Welt redeten. Hier gab es vieles, das sie an Zuhause erinnerte. Immer wieder zog es sie dorthin, wo sie den Schiffen nachblickte, die über die Lagune segelten, um jenseits des Lido in alle Welt zu fahren. Vielleicht konnte sie ja doch eines Tages eines dieser Schiffe besteigen und Richtung Heimat segeln.
Mit dem Winter begannen die Feste, Bälle und Gesellschaften, die die Stadt bis zum Ende des Karnevals in einen Taumel versetzten, daher hatten Rebeccas Bemühungen um Aufträge rasch Erfolg. Kaum zeigte sich die erste elegante Dame in einer Robe mit Sarahs zierlichen Stickereien an Ausschnitt und Ärmeln, schon wollte die nächste ihr Festkleid mit Perlen verschönt haben. Mittlerweile schaute Rebecca beinahe täglich bei Sarah vorbei. Sie brachte halbfertige Kleider und holte andere, fertig bestickte Teile ab, um sie zu der Schneiderin zurückzutragen, die daraus das prachtvolle Gewand schuf, von dem ihre Kundin träumte. Mit Emmanueles und Jacopos Hilfe sorgte sie außerdem dafür, dass sich Sarahs Perlenvorrat durch die zarten Kunstwerke der Glasmacher von Murano vergrößerte.
Als Rebecca die ersten von Sarah selbst verdienten Münzen auf ihren Tisch legte, wusste diese, dass ihr Plan gelingen konnte. Daher brannte in ihrer Kammer bis spät in die Nacht die Öllampe, und unentwegt saß sie an einer Stickerei oder entwarf neue Muster.
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