Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Beziehung zu Hussein war nicht besonders brüderlich, schon von klein auf hatten sie sich geprügelt und gezankt, aber würde er ihm absichtlich schaden wollen? Waren sie denn nicht beide Söhne eines Vaters, Blut von einem Blut?
Nachdenklich blickte er auf die weiß gekalkten Zinnen, die wie Kronen auf den Mauern und den wuchtigen Ecktürmen saßen, auf die schmalen Fensteröffnungen, die von geometrischen Mustern aus Lehmziegeln eingefasst wurden, und auf das mit Eisenbändern beschlagene Haupttor, das nun abweisend verschlossen vor ihm lag.
Die Kasbah der Aït el-Amin war riesig, ein Labyrinth von Kammern und Treppen, von Wohn- und Lagerräumen, Sälen und Terrassen, von Ställen, verborgenen Gängen und luftigen Gärten. Die Mosaikböden in den Räumen waren bedeckt mit weichen Teppichen, die Decken und Wände zierten Arabesken, Schnitzereien und Rankenwerk, und durch die Innenhöfe strömte der süße Duft blühender Rosen. Seit dreihundert Jahren schon thronte die Burg über dem Oued Ziz, dessen Wasser sich ein tiefes, silbriges Bett durch die Wüste gegraben hatte. Unterhalb der Kasbah breitete sich Sijilmassa aus, die große Stadt mit den fünf Toren, deren Häuser sich hinter Lehmmauern duckten. Es gab Gärten und Plätze und Wasserstellen in der Stadt, und es gab Lagerhallen und Marktplätze, auf denen sich zweimal im Jahr die reichen Händler aus dem Norden gegenseitig überboten, um sich die besten Waren aus den Ländern jenseits der Sahara zu sichern.
Zu beiden Seiten des Flusses befanden sich die Felder und Gärten der alten Karawanenstadt, weitläufig, fruchtbar grün und schattig unter hohen Palmen, und paradiesisch blühend. Regelmäßige, oft sogar üppige Ernten, durch das seit urdenklichen Zeiten geltende Wasserrecht garantiert, füllten die Bäuche der Menschen. Die Früchte der Oase sowie Milch, Wolle und Fleisch von Ziegen und Schafen, vor allem aber die Handelswaren der Karawanen verschafften ihnen ein hohes Ansehen und materielle Sicherheit.
Seit fünf Generationen lebten die Aït el-Amin nun bereits hier, er selbst erinnerte sich noch gut an den Großvater, Sheïk Mohammed, ein sa’adischer Löwe wie der Vater. Er war ein guter und gerechter amghar gewesen und hatte den Wohlstand der Menschen des Tales gemehrt, wie dessen ältester Sohn Hassan, der ihm nachgefolgt war, und wie auch Brahim, sein Bruder. Und nun?
Hussein schlug nicht nach dem Vater, sondern mehr nach seiner Mutter, Lâlla Malika, der dritten Ehefrau des Vaters. Sie war eine immer noch ausnehmend schöne, hellhäutige ehemalige Sklavin, leider von missgünstigem Wesen, dazu zänkisch und ohne jede Bildung. Sie hatte keinen guten Stand in der Familie, sogar die Dienerinnen schnitten sie. Brahim war es gelungen, für eine gewisse Harmonie zu sorgen, aber damit war es nach seinem Tod vermutlich vorbei.
Saïd unterdrückte ein Seufzen. Die Kasbah war sein Heim, und nun verweigerte man ihm den Zugang? » Wer ist dieser Imam, dass er die Macht hat, die Tore vor mir zu verschließen?«
» Es ist Sîdi Alî al-Agurram, ein marabut , der aus der Fremde zugewandert ist.«
Aus den Augenwinkeln sah Saïd, wie Abdallahs Kopf zu ihm herumfuhr. Er nickte. Diesen Namen hatte auch Lahsen, der gefangene Nomadenjunge von den Aït Yahya, genannt. Dessen Bericht über den Besuch der osmanischen Patrouille bei Hussein kam ihm in den Sinn. Ob sich der Bruder tatsächlich auf die Seite der Osmanen geschlagen hatte? Welchen Nutzen versprach er sich davon, was konnten sie ihm für seine Unterstützung geboten haben?
Die Spannungen hatten sich während seiner Abwesenheit offenbar verschärft, und jetzt, nach Brahims Tod, schien sich die Lage immer noch zuzuspitzen. Hussein war ein schwieriger Mensch, unsicher, schnell beleidigt und eifersüchtig. Es war gut vorstellbar, dass ihn jemand mit Schmeicheleien und schönen Worten von seiner gestiegenen Bedeutung überzeugt hatte. Sicher bemühte er sich, alles richtig zu machen, aber er war nun einmal leicht zu beeinflussen, und er besaß wenig Geschick im Umgang mit Menschen. Einem redegewandten marabut wäre es vermutlich ein Leichtes, sein Vertrauen zu erringen und ihn zu seinem Werkzeug zu machen.
Im Gegensatz zu seinen Halbbrüdern konnte Hussein weder lesen noch schreiben, zudem brachte ihn seine Eitelkeit immer wieder dazu, auf einmal gefassten Entscheidungen zu beharren, selbst wenn er sie inzwischen als falsch erkannt haben sollte. Konnte man dennoch seiner Führung vertrauen?
Saïd
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