Purpurdämmern (German Edition)
bewachsen war. Auf seinem höchsten Punkt drängten sich Baumkronen zusammen. Dahinter ragten schroff und dunkel die Steilhänge auf, die das Tal nach dieser Seite hin abschotteten. »Dort gibt es ein Tor.«
»Und Ihr habt einen Schlüssel?«, fragte Marielle. »Wohin führt es?«
Er lächelte. »In eine faszinierende Welt.«
Sie bewältigten den Marsch auf den Hügel in bleiernem Schweigen. Nur ihre Atemzüge und das Schaben ihrer Sohlen auf den Grasstoppeln durchbrachen die Stille.
Coinneach und Santino übernahmen die Vorhut. Marielle hatte sich die Purpurkatze wie einen Kragen um den Nacken gelegt. Ken lief hinter ihr, in einer Hand den Katzenkorb, unter dem anderen Arm das Portalbuch. Die Anstrengung vertrieb die klamme Kälte, die sich in seinen Kleidern einnisten wollte. Das war gut. Schlecht war, dass das Buch ihm gleich die Schulter explodieren ließ. Wenn er wenigstens das Sweatshirt gehabt hätte, um den Bleiklotz besser tragen zu können. In seinem Kopf waberte nach den Schrecken des Kampfes Leere, doch in den grauen Schleier hinein kroch ein ungutes Gefühl. Coinneach hatte offensichtlich den Verstand wiedergewonnen, wechselte jedoch kein Wort mit ihm. Erinnerte er sich an ihre Begegnung in der Nacht zuvor? Wenigstens hing Moms Medaillon noch um seinen Hals.
Marielle blickte ihn nicht einmal an. An seinem Handgelenk pochte die glasige Stelle. Womöglich tat es ihr schon leid, und sie fürchtete sich vor dem Moment der Offenbarung? Oder kämpfte sie ebenso wie er selbst gegen Schock und Erschöpfung an und war einfach nicht fähig zu sprechen? Das Schweigen schnürte ihm die Luft ab. Es wurde mit jedem Schritt schlimmer, bis er nicht mehr an sich halten konnte.
»Hey«, er schloss zu ihr auf, »was machen wir eigentlich mit den Kätzchen?«
Nessa hob den Kopf.
Die werden selbstverständlich im Tíraphal aufgezogen. Was dachtest du denn? Dass du eine behalten kannst? Denk nicht einmal daran.
»Ähm –«
Die Freundschaft und der Rat einer Purpurkatze sind Persönlichkeiten von edelstem Blut vorbehalten.
Selbst auf Marielles Schulter hängend, schaffte es Nessa, eine unverhohlene Arroganz auszustrahlen. Zumindest
sie
hatte den Schock der Schlacht bestens verdaut.
»Aber ich wollte gar keine behalten«, brachte er seine Erwiderung zu Ende.
»Das edle Blut ist außerdem vorhanden.« Marielle gab der Purpurkatze einen Klaps zwischen die Ohren.
Trotzdem sollte ein junges Purpurkätzchen nicht zwischen ordinären Hauskatzen aufwachsen.
»Du musst es ja wissen«, neckte sie Marielle.
Nessa hieb mit der Pfote nach ihrer Hand. Die Spitzen ihres Fells nahmen einen grünlichen Schimmer an.
»Jetzt sei nicht beleidigt. Das hast du nicht nötig.«
Nessas Ohren zuckten.
»Also nehmen wir den Korb mit in deine Welt?«, unterbrach Ken das Geplänkel.
»Ob
wir
…« Sie verstummte für einen Moment und drehte den Kopf zur Seite, als wollte sie nicht, dass er ihre Augen sah. Als sie fortfuhr, trat Anspannung in ihre Stimme. »Hör zu, du kannst nicht gleich mitkommen. Ich muss zuerst allein mit meinem Vater reden, und dann wäre es, ähm, vielleicht nicht gut, wenn du in der Nähe bist.«
Am liebsten hätte er nach ihrer Hand gegriffen. Aber das ging nicht, weil er entweder die Kätzchen oder das Buch hätte fallen lassen müssen.
Er wusste genau, wie sie sich fühlte. Hey, ihr Vater war ein König, und der hatte in ihrer Welt wahrscheinlich unbegrenzte Macht. Wenn sie ihm eröffnete, dass sie ihn aufs Kreuz gelegt hatte, was seine Hochzeitspläne für sie betraf, würde das sicher keine nette Unterhaltung werden. Süß, dass sie ihn vor dem königlichen Zorn schützen wollte. »Er wird sich bestimmt wieder beruhigen.«
»Wer?«
»Dein Vater.«
»Ach so. Ja.« Sie wirkte nicht nur angespannt, sondern auch abgelenkt.
»Wenn er sich wieder eingekriegt hat, wie geht es mit uns weiter? Stellst du mich ihm dann vor?« Er versuchte, nicht nervös bei dem Gedanken zu grinsen, seinem zukünftigen Schwiegervater seine Aufwartung zu machen. Ganz davon zu schweigen, dass es sich dabei um einen König handelte.
Sie antwortete nicht gleich. Ihr Blick nahm einen unsteten Ausdruck an, als wälzte sie irgendwas in ihrem Hinterkopf.
»Wir könnten uns ab und zu treffen«, sagte sie endlich. »Ich meine, ich weiß nicht, wie oft ich mich aus dem Tíraphal herausschleichen kann. Es könnte kompliziert werden. Keine Ahnung, ich muss erst sehen, was geschieht, wenn ich wieder da bin. Vielleicht versiegeln sie meine
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