Purpurdämmern (German Edition)
Tore …«
»Aber das ist kein Problem!«, platzte er heraus. Sie wusste ja noch nicht, dass er bald in ihrer Stadt leben würde. »Santino nimmt mich als Lehrling auf, dann bin ich ganz in der Nähe, und dann können wir uns so oft sehen, wie wir wollen!«
Santino nimmt mich als Lehrling auf?
Wann hatten sie das denn ausgeheckt? Marielle starrte auf den Rücken des Magiers, als würde jeden Augenblick ein Dämon aus seinen Mantelfalten aufsteigen. Im gleichen Moment wandte sich Coinneach um und brachte ihre Prozession zum Stehen. Sie war dankbar für die Unruhe, denn die gab ihr ein paar Sekunden, die Neuigkeit zu verdauen. Vor allem ersparte sie ihr eine Antwort. Ken sah glücklich aus, und in ihr krümmte sich niederträchtige Schwärze. Sie wusste nicht, wen sie mehr hassen sollte: Santino oder sich selbst.
Sie vergrub ihre Hand in Nessas Fell. Es trennten sie nur noch Stunden von ihrer Rückkehr in den Tíraphal, und wenn sie das Tor nach Hause durchschritt, würden die Ereignisse sich überstürzen. Ihr wurde übel, wenn sie nur daran dachte.
»Dieser Hain ist geschützt«, sagte Coinneach. »Seht ihr die Steine auf dem Boden?«
Zwischen den Grasstoppeln glänzten Felsbuckel, die einen gewundenen Pfad hoch zur Hügelkuppe bildeten.
»Tretet genau auf die Steine. Wenn ihr es nicht tut, lauft ihr im Kreis. Der Schleier sendet euch wieder zurück.«
»Raffiniert«, murmelte der Buchstabensammler hinter ihr.
Marielle berührte Ken an der Schulter. »Geh vor.«
Es mochte kindisch anmuten, aber direkt hinter Santino zu laufen und zu fürchten, dass er den Mahlstrom in ihrem Kopf spürte, ertrug sie nicht. Seit sie sein Gespräch mit Umo belauscht hatte, war es ihr, als atmete jede seiner Bewegungen Dunkelheit. Seine Worte vibrierten vor Zweideutigkeiten. In jedem Handgriff, jeder Frage witterte sie eine Falle. Auf einer abstrakteren Ebene ihres Bewusstseins war ihr klar, dass sie überreagierte, doch der größere Teil ihres Selbst suchte unablässig nach Beweisen für seine boshafte Verräternatur. Sie zitterte innerlich, wenn sie daran dachte, wie er sie in die freudlose Ehe mit Newan zu drängen versuchte, nur um ihrem Vater zu Diensten zu sein. Wie er sich als Jagdhund für Eoghan prostituierte, obwohl er doch viele Jahre vorgegeben hatte, ihr bester Freund und Vertrauter zu sein. Wie war es möglich, dass sie nicht früher Verdacht geschöpft hatte? Der größere Frevel, der Verrat an Eoghan und an Níval, der sie alle das Leben kosten konnte, komplettierte nur das Bild des Schurken.
Wenn der Schrecken, dem sie gerade entkommen waren, nur einen Vorgeschmack auf die Invasion der Kjer darstellte, welches Unheil lenkte er dann auf Níval? Und wofür brauchte er Ken? Visionen und Gedankenfetzen verknoteten sich hinter ihrer Stirn und ergaben immer weniger Sinn, je länger sie darüber nachgrübelte.
Klar war nur eines: Sie musste ihren Vater vor dem Magier warnen. Und Ken durfte keinen Fuß nach Tír na Mórí setzen, solange sie nicht Ordnung in dieses Chaos gebracht hatte. Das fehlte ihr gerade noch, dass ihm etwas zustieß, während sie versuchte, Eoghan vor Santinos Machenschaften zu warnen. Auch Nessa wurde es ja nicht müde, über Santinos düstere Geheimnisse zu lamentieren. Wie gern hätte sie sich jetzt mit der Purpurkatze beraten. Aber sie konnte schlecht über den Magier reden, wenn er zwei Schritte vor ihr lief.
Schwindlig vor Kopfschmerzen, den Magen voller Säure, senkte sie ihren Blick auf die Steine, um nicht danebenzutreten. Sie konnte kaum die Aussicht genießen, die der Hügelkamm bot. Auf der rechten Seite glitzerte der See mit der Lindwurmmauer, zu ihrer Linken ragten die Felsen empor. Zwischen den Hügeln und dem Fuß des Abhangs rauschte ein Fluss. Das Gestein selbst war bis zur doppelten Höhe eines Mannes mit Reliefs geschmückt. Ornamente mit Blumen und Vögeln, Bänder und Bögen, rätselhafte Kreaturen, wie ein Wolf mit drei Köpfen und einer Schlange anstelle des Schwanzes. Zeugnisse überragender Steinmetzkunst trotzten der unwirtlichen Witterung.
Vor ihnen wiegten sich die Baumkronen im nebligen Wind. Schwer und dunkel zitterte das Apfellaub, Wassertropfen benetzten die Spitzen. Im Herzen des Hains öffnete sich eine Lichtung. Anders als am Hang reichte ihnen das Gras hier bis zu den Knien und leuchtete in saftigem Grün.
»Dort.« Coinneach deutete auf einen uralten Stamm, dessen Äste tief genug auf dem Boden hingen, um einen Bogen zu formen. »Das Portal.«
»Was
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