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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Überreste seines Seils aufgehoben und neu verknotet hatte und sich mühte, die Weide zu krümmen. Verflucht, sie würden es nicht schaffen.
    Santino stieß die Pistole zurück in sein Halfter und rannte mit über dem Kopf erhobenem Schwert auf die Devora zu. »Beeil dich!«, brüllte er.
    »Es liegt nicht an mir«, schrie Umo zurück. »Zehn Minuten!«
    Doch sie hatten keine zehn Minuten.
    Sie hatten nicht mal mehr zehn Sekunden. Die Risse fraßen sich ins Gewebe wie Säure. Einer berührte Santino am Knie. Der Magier taumelte, knickte ein und stieß einen Schmerzenslaut aus.
    Noch mehr Pfeile gruben sich in den natternzischenden Leib der Devora. Ken zuckte zurück, als ein Giftfaden dorthin züngelte, wo eben noch sein Gesicht gewesen war. Er blieb mit dem Fuß an einem Hindernis hängen und stürzte. Das Buch! Marielle tauchte aus dem Glasvorbau auf, die Augen panisch und weit. Nessa rannte hinter ihr her.
    Das Buch. Sein Blick saugte sich daran fest. Die Portalseite hatte sich bei Rupertin Hufschwinge in Sekundenschnelle entfaltet. Er kniete sich hin, schlug den Deckel auf und nahm eine lose Seite heraus. Darauf prangte die Zeichnung eines Sees mit Bergen und einem Turm auf dem obersten Gipfel, umrahmt von einem Ornament. In die freie Fläche mitten im See gedruckt stand:
    Stondeth nu on laste leofre duguthe
    Weal wundrum heah Wyrmlicum fah.
    Und noch einiges mehr, aber Ken hatte keine Zeit, den ganzen Vers zu entziffern, geschweige denn eine Ahnung, was die ungelenken Silben bedeuteten. Es spielte auch keine Rolle. Nur, wie sollte er das verdammte Ding aktivieren?
    »Marielle, wie funktioniert das?« Er hielt den Zettel hoch. »Schnell!«
    Ein fragender Ausdruck zuckte über ihr Gesicht, Verwirrung, endlich Begreifen.
    »Vorsicht!« Er packte sie beim Arm und zog sie beiseite, fort vom hauchdünnen Sprung im Gewebe.
    Sie nahm die Seite, machte einen Riss in die Fläche des Sees, an einer Stelle, die nicht mit Text beschrieben war, und klappte die Ränder auseinander, sodass ein Loch entstand. Dann legte sie das Papier auf den Boden, kniete sich hin und platzierte beide Handflächen darauf. Die Luft um Ken wurde kalt. Winzige Tropfen kondensierten entlang des Säurefadens.
    »Ich brauche etwas, um die Seite zu beschweren!«, rief sie.
    Er reichte ihr eine Glasscherbe und ein Stück verrostetes Blech. Der Buchstabensammler hatte inzwischen das Seil an einer Wurzel verankert. Die Krone der Weide bog sich zu einem Halbkreis, im Scheitelpunkt fast so hoch wie ein Mann.
    Unaufhaltsam verzweigten sich die Sprünge zu einem Netz immer feinerer Adern, die sich mit der Lautlosigkeit von Lasern in Beton und Bäume und selbst in die Kadaver der Spalthunde fraßen.
    Marielle stellte etwas mit der Buchseite an, das die Luft über ihr zum Schimmern brachte.
    Santino wich einem Tatzenhieb der Verschlingerin aus und ein paar Meter entfernt von der Kreatur tauchte ein Blondschopf über der Dachbrüstung auf. Er gehörte zu einem groß gewachsenen, schlanken Mann, dem Bogen und Pfeilköcher über der Schulter hingen und der mit beiden Händen ein Schwert umklammerte.
    Coinneach.
    Kens Herzschlag stolperte.
    »Ich hab’s!«, rief Marielle. Silbrig funkelnd entfaltete sich die Reflexion einer Wasseroberfläche über ihren Köpfen. Die Wellen plätscherten gegen eine mächtige Mauer, hinter der sich schemenhaft eine Bergkette abzeichnete. Drachenornamente bedeckten die Wand. »Das Tor steht!«
    Umo ließ von seiner eigenen Konstruktion ab und lief auf sie zu. Es war ein irrwitziger Hürdenlauf. Die Sprünge wucherten immer schneller, und zweimal stolperte er. Beim zweiten Mal erblühte ein karmesinroter Fleck auf seinem Ärmel.
    »Santino!« Kens Kehle schmerzte. Er brüllte bis zur Heiserkeit, um die Schreie der Devora zu übertönen. »Komm!«
    Der Magier riss seine Klinge frei und floh. Er sah fürchterlich aus. Blut lief ihm übers Gesicht, der Ärmel seines Mantels war aufgerissen. Er hinkte, wo ihn die Berührung des Rissgewebes verletzt hatte. Gleichzeitig mit Coinneach erreichte er das Portal. Ken hob den Korb mit den Kätzchen auf. Wie durch ein Wunder hatte sich die Decke nicht gelöst, während er zwischen den Kisten umhergerollt war.
    »Meine Sachen«, keuchte Umo.
    »Keine Zeit!« Santino packte ihn beim Gewand und schob ihn durchs Tor. Die Silberfläche gluckste, der Buchstabensammler verschwand. Nessa setzte ihm nach. Marielle folgte ihr. Ken warf den Korb hindurch, bückte sich nach dem Buch und schleuderte es

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