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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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ist der Schlüssel?«, fragte Umo.
    Coinneach bückte sich und hob ein paar Äpfel auf. Einen davon warf er dem Buchstabensammler zu. Er lachte. »Hier. Iss.«
    »Der Apfel ist der Schlüssel?«
    »Irgendein Apfel. Beiß hinein, wenn du im Portal stehst.«
    Umo polierte mit dem Daumen über die Frucht und ließ sie in einer Falte seines Ponchos verschwinden. »Ich werde euch hier verlassen.«
    »Was?«, entfuhr es Marielle. »Warum?«
    Auch wenn er sie ebenso belogen hatte wie Santino und mit dem Verräter gemeinsame Sache machte, hatte sie doch gehofft, dass er sie nach Tír na Mórí begleiten würde.
    »Dieses Tal ist ein höchst interessanter Ort. Höchst interessant. Ich verspüre den Wunsch, es genauer zu erkunden.« Er neigte den Kopf. »Lebt wohl.«
    Die Entgeisterung musste ihr deutlich ins Gesicht geschrieben stehen, denn er beugte sich zu ihr hinab und sagte so leise, dass nur sie es hören konnte: »Unsere Pfade kreuzen sich wieder. Nur eins für den Weg, von einem alten Mann. Sei nicht zu vorschnell mit deinem Urteil über Menschen, die dir nahestehen.«
    Ohne ein weiteres Wort zog er von dannen. Durch die weit auseinanderstehenden Apfelbäume blickte sie ihm nach, bis er unterhalb der Hügelkuppe verschwand. Grau und neblig flimmerten die Felsen. Sie konnte nur die obersten Ränder der Reliefs erkennen, doch für einen Herzschlag lüftete sich ein Schleier, und sie glaubte, etwas anderes darunter zu sehen.
    Keine glatte Felswand mehr, sondern Terrassen aus Bronze und bläulichem Stein. Hunderte, oder Tausende, und Wasserfälle aus weißen Blüten. Kostbar verzierte Hausfassaden erhoben sich über den Balkonen. Oder waren es Grabmäler? Die Vision verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
    Dann bemerkte sie den Ausdruck angespannter Konzentration auf Santinos Gesicht, der in die gleiche Richtung blickte, und sie fragte sich, ob es mehr als eine Einbildung gewesen war.
    Ken stieß sie an. »Sind das hier auch die Dämmerschatten?«
    »Wir sind im Scharlachrot«, entgegnete Santino, bevor sie etwas sagen konnte. »Drück gegen das Gewebe und spüre, wie es nachgibt. Elastisch, aber nicht so leicht zu zerreißen wie dort, wo wir herkommen.«
    Coinneach warf ihnen die Äpfel zu. Sein Gesicht glänzte wächsern unter einer dünnen Schicht Schweiß, Blut befleckte seine Kleider. Er sah nicht gut aus. Die Wunde im Rücken machte ihm sicher zu schaffen. »Beißt hinein, wenn ihr vor dem Tor steht und beugt euch unter dem Ast hindurch.«
    Er selbst machte den Anfang.
    »Ich hätte jedes Mal Sorge«, sagte Ken, »über das, was auf der anderen Seite ist.«
    Santino zog das Schwert, auf den Lippen ein erschöpftes Grinsen. »Deshalb trittst du auch nur mit gezückten Waffen durch ein Tor, das du nicht kennst.«
    Marielle tat sich schwer, den Blick von ihm zu wenden. Wie war es möglich, dass er sich so unbekümmert gab? Er tat einfach so, als wäre nichts geschehen.
    Sie konnte es kaum erwarten, sein Gesicht zu sehen, wenn sie ihn mit den Konsequenzen seines Verrats konfrontierte.

    Apfellaub streifte Kens Haar, während er unter dem Bogen hindurchtrat. Ein Zweig verfing sich in seinem T-Shirt. Er schauderte unter dem plötzlichen Schwall Kälte. Gänsehaut rann ihm die Arme und den Nacken hinauf.
    Ihn blendete die Dunkelheit, wie jedes Mal, wenn er ein Tor durchschritt. Ein Moment der Verwirrung. Dann kehrten Licht und Farben und die Konturen zurück. Es war empfindlich kühl. Ein scharfer, regnerischer Wind fuhr ihm ins Gesicht.
    Vertraute Geräusche und Gerüche umfingen ihn. Mit wachsender Hast befreite er sich aus dem Unterholz. Er fand sich auf der Lichtung wieder. Der Apfellichtung auf dem kleinen Hügel im Nachbarsgarten in der Dalzelle Street.
    Misstrauisch hob er den Kopf zum Himmel. Doch kein grünlicher Riss bedrohte die Realität. Grau und bleiern klebten die Wolken aneinander. Die Bäume trugen keine Blätter, nur kleine Knospen auf der schwarz glänzenden Rinde. Der Frühling zögerte noch vor den kalten Tagen und den frostigen Nächten, ganz anders als in Dämmer-Detroit mit seinem sommerlichen Wetter. Er war zurück in seiner Welt.
    Unglaublich. Er hatte es geschafft.
    Neben ihm bückte sich Marielle nach etwas im Gras. Er sah es zwischen ihren Fingern funkeln, als sie sich wieder aufrichtete. Einer von Moms billig gestanzten keltischen Anhängern. In die Stille flackerte eine Polizeisirene, nur kurz. Wahrscheinlich eine Verkehrskontrolle drüben auf der Michigan Avenue.
    Zu Hause, wie seltsam

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