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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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verschwundenen Tochter, erklärte Marielles Retter zum Helden, nachdem die Geschichte mit den Spalthunden die Runde gemacht hatte. Santino verzichtete auf den Hinweis, dass es im Grunde Marielle gewesen war, die
ihm
das Leben gerettet hatte. Auch die Kjer ließ er unerwähnt. Seine Wunden heilten, und als Eoghan ihn gefragt hatte, ob er am Königshof bleiben wolle, um die Prinzessin zu unterrichten, hatte er eingewilligt. Bald fand er Gefallen am ruhigen Fluss der Elemente im Scharlachrot. Wo die Magie im Rabenfächer mit roher, knochenbrecherischer Gewalt tobte, funkelte sie im Scharlachrot wie Licht auf weich geformten Wellen.
    Nach Jahrzehnten, Jahrhunderten eines Lebens auf der Flucht, bot Tír na Mórí sich als verlockender Hafen an. Keiner am Hof der Nebel-Fayeí hatte die Welten des Rabenfächers je mit eigenen Augen gesehen. Bei Sarrakhans Verderbnis, die wenigsten wussten überhaupt davon! Lange war ihm ein Rätsel geblieben, wie dieses
Kind
ein Tor zwischen den Dimensionen hatte aufreißen können. Inzwischen wusste er, dass Marielle ein existierendes, uraltes Portal entdeckt und wieder zum Leben erweckt hatte. Eins, das vom Schöpfer der Nebelsee-Welt selbst stammte.
    Santino stützte sich auf die Balkonbrüstung aus Opalglas und blickte hinab auf die spiegelglatte Wasserfläche des Bassins. Diese Stadt, der See, überhaupt ganz Níval glich einem fein ziselierten Kunstwerk, das aus jedem Blickwinkel eine andere Facette seiner Schönheit enthüllte. Wie ein Traum in einer Seifenblase, die man nicht zu berühren wagte, aus Angst, sie könnte zerplatzen.
    Das Bassin war ein künstliches Wasserbecken, das sich zwanzig Meter über dem See erhob und der Uferlinie folgte, so weit die Stadt reichte. Gespeist vom Strom Sayfíra, ergossen die Fluten sich in einem zwei Meilen breiten Wasserfall brüllend und schäumend in den Nebelsee.
    Die zahllosen Alkoven und Terrassen des Tíraphal, des Königspalastes, ruhten auf hohen Säulen über dem Bassin. Vom See her wirkte es, als schwebte das Bauwerk über den Fluten. Dabei gab es genügend Platz zwischen den Fundamenten, um Boote zu vertäuen. Auch wenn Brücken aus Opalglas den Tíraphal mit dem Festland und den anderen Plattformen im Bassin verbanden, erfolgte der Großteil des Warenverkehrs in den Palast mit Booten, die in kleinen, unterirdischen Docks ankern konnten.
    Vom Balkon aus erspähte Santino den Hafen, in dem die drei Schiffe der Delegation aus Tír na Avalâín lagen. Er konnte die Faszination des Hofes für die Licht-Fayeí mitsamt ihrem verzärtelten Prinzen kaum nachvollziehen. Doch Newan und sein Gefolge waren seit ihrer Ankunft die Attraktion in der Stadt. Die Ersten Familien überschlugen sich darin, die Besucher von der anderen Seite des Nebelsees auf ihren Empfängen zur Schau zu stellen. Zum Glück war die Entourage des Prinzen so riesig, dass man sie ohnehin auf mehrere Residenzen verteilen musste. So brauchten die Edlen sich im Ringen um die Ehre des Gastgebers wenigstens nicht die Köpfe einzuschlagen.
    Ein Schwarm Rosenforellen zog dicht unter der Wasseroberfläche seine Kreise. Ab und zu bildeten sich konzentrische Wellen, und die Fische schossen in wildem Tumult darauf zu. Vermutlich hockte jemand auf einer tiefer gelegenen Terrasse und fütterte die Tiere mit Brotstückchen.
    Aus dem blauen Salon brandeten Stimmen heran, und Santino wollte sich eben nach der Quelle des Lärms umsehen, als eine seltsame Reflexion seine Aufmerksamkeit erregte. Mitternachtsschwarz und schmal wie eine Stilettklinge schnitt sie durchs Wasser.
    Nein, das war nicht möglich.
    Das durfte nicht sein.
    Unwillkürlich verkrampften sich seine Kiefermuskeln. Er umklammerte die Balustrade und beugte sich so weit vor, wie er konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
    Dunkelheit blutete aus dem Keil und formte eine verzerrte Schnauze. Zwei große, nach oben spitz zulaufende Ohren. Er erschrak so sehr, dass ihm ein kleines Keuchen entwich. Seine Hand glitt unter den Ledermantel, zum Dolch, den er in einer Scheide am Rücken verbarg, dem königlichen Gesetz zum Trotz, das das Tragen von Waffen im Tíraphal verbot.
    Nein, nicht hier. Nicht im Scharlachrot. Wie hatten sie den Weg ins Scharlachrot gefunden?
    Aber das weißt du doch genau, flüsterte die Stimme in seinem Kopf, die er so gern zum Schweigen bringen wollte. Du hast sie hergeführt. Sie folgen deiner Fährte.
    Das ist neun Jahre her, begehrte er auf.
    Neun Jahre, hundert Jahre, wo ist der Unterschied? Zeit ist

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