Purpurdämmern (German Edition)
warst in den Dämmerschatten?«
»Ich war an mehr Orten, kleine Prinzessin, als du dir vorstellen kannst.«
Sie korrigierte ihn nicht, sondern lächelte nur. Es ging niemanden was an, wo sie in ihrer Freizeit herumstreifte. Und ihr Vater durfte sowieso nichts von ihren Ausflügen wissen. Was Santino anging – tja, sie war sich nicht sicher, wie viel Santino wusste. Er war nicht nur ihr Lehrer, sondern auch ihr bester Freund, und würde sie nie an Eoghan verraten. Aber vielleicht legte er sie übers Knie und versohlte ihr den Hintern, wenn er herausfand, dass sie in den Dämmerschatten herumstreunte.
Der Mann nahm ihr das Spielzeugauto aus der Hand. »Das Beste hast du noch gar nicht gesehen.«
Er drückte auf einen Knopf an der Unterseite und setzte es zurück auf die Tischplatte. Plötzlich schimmerten die Umrisse einer Straße unter dem Auto, eine schemenhafte Tribüne formte sich in der Luft, und sie glaubte sogar, das Gebrüll einer euphorischen Menge zu hören, ganz weit entfernt. Drei – zwei – eins, tönte es aus geisterhaften Lautsprechern.
»Na los«, forderte der Händler sie auf. »Zieh es auf!«
Sie gehorchte, und das Auto schoss über den Tisch. Die Straße bewegte sich unter den Rädern. Die Massen jubelten, der Lautsprecher krächzte. Fahnen segelten durch die Luft. Dann stürzte es über die Kante und fiel in den Staub. Die Räder blieben stehen, die Bilder verblassten. Marielle bückte sich und hob es auf.
»Wie funktioniert das?«
»Eine kunstvolle Verbindung von Mechanik und Magie.« Der Mann kicherte. »Möchtest du es kaufen?«
Sie überlegte. »Wie viel?«
»Zwei Statere.«
»Zwei Statere?« Sie riss die Augen auf. »Das ist teuer!«
»Das ist der Preis.« Sein Grinsen flackerte nicht. Sie warf einen Blick zu Nessa, die sich auf einem Mäuerchen sonnte und die letzten Fischreste von ihren Pfoten putzte.
Viel besser als die mechanische Maus. Du solltest es kaufen!
»Lass dich nicht von einem arkhesinischen Basarhändler über den Tisch ziehen«, erklang Santinos Stimme hinter ihr. Sie fuhr vor Überraschung zusammen, und das Grinsen des Händlers verlor an Selbstsicherheit. »Das Ding ist höchstens einen Stater wert. Und auch nur, wenn er dir, sagen wir mal, den Blechhasen da noch drauflegt.«
Marielle drehte sich um und blinzelte gegen die Sonne an, um Santino ins Gesicht zu sehen. Er wirkte ausgesprochen gut gelaunt. »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Es stand dir doch quer auf der Stirn geschrieben.«
Sie schoss Nessa einen misstrauischen Blick zu, doch die Purpurkatze wackelte nur mit den Schnurrhaaren und setzte ihre Ich-war’s-nicht-Miene auf.
»Aber das ist ein Meisterstück«, protestierte der Händler, »und es hat eine lange Reise hinter sich. Ich hab’s mit meinem Leben beschützen müssen!«
»Einen Stater«, knurrte Santino, »und den Hasen.«
Marielle sah zwischen den Männern hin und her, die sich nun anstarrten, als würden sie jeden Moment aufeinander losgehen. Plötzlich hing greifbare Spannung in der Luft. Selbst Nessa richtete den Kopf auf. Im Gesicht des Händlers zuckte es. Unbehagen stieg in Marielle auf. Santino würde doch nicht wegen eines blöden Spielzeugs Streit anfangen? Und schließlich war es Sache des Händlers, welches Preisschild er an seine Ware hängte. Sie wollte schon etwas sagen, da begannen die Mundwinkel des Händlers zu zittern und es passierte das Unglaublichste überhaupt.
Er brach in schallendes Gelächter aus.
Santino fiel ein und dann lachten sie beide, bis sie Tränen in den Augen hatten. Der Händler hieb ihm so fest auf die Schulter, dass er in die Knie ging.
»Sergej!«, keuchte Santino. »Verdammt, du siehst gut aus. Seit wann bist du bei van Erlen?«
»Seit sie Kerle mit Haaren auf den Zähnen für die Schwarzroute brauchen, die drauf pfeifen, wenn hinter ihnen die Dimension zusammenbricht, solange sie es nur rechtzeitig durchs Tor schaffen.«
Wovon redeten die? Marielle verstand kein Wort. Santino und der Händler namens Sergej gebärdeten sich wie Brüder, die sich nach zwanzig Jahren wiedergefunden hatten. Verstohlen musterte sie die anderen Leute zwischen den Buden, entdeckte aber kein bekanntes Gesicht. Das fehlte noch, dass eine der Hofdamen sie erwischte und sie bei Amalia verriet. Der alte Drachen glaubte, sie wäre auf ihrem Zimmer, um sich für den Ball am Abend auszuruhen. Zum Glück ahnte Amalia nichts von dem geheimen Tor in der Schlafkammer.
Bei Sarrakhan, der Gedanke an den elenden Ball
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