Purpurdämmern (German Edition)
verdarb ihr sofort wieder ihre gute Laune. Nessa, die ein Gespür für ihre Stimmungen hatte, sprang von der Mauer und strich ihr um die Beine. Ihre Fellspitzen schimmerten zuerst bläulich, dann purpurn, dann wieder in warmen Bernsteintönen. Als Kind hatte sie ewig gebraucht, um zu begreifen, dass die Katze diese Farben nicht willkürlich annehmen konnte, sondern dass sie von Gefühlsregungen bestimmt wurden.
»Das ist Sergej, ein sehr alter Freund«, unterbrach Santino ihre aufkeimende Grübelei. »Sergej, wie lange bleibt ihr in der Stadt?«
Der Händler wiegte den Kopf. »Ein paar Tage.«
»Hast du Lust, der Prinzessin ein paar deiner Geschichten zu erzählen? Von Abenteuern in fernen Dimensionen?« Er zwinkerte Marielle zu. »Vielleicht morgen Abend, bei einem Glas Wein?«
Sergej deutete eine Verbeugung an. »Ich wäre geehrt.«
Sie starrte Santino an, während sich ihr vor lauter Zuneigung die Kehle zuschnürte. Er wusste um ihre ungestüme Entdeckerlust. Und dass er das für sie arrangierte, war einfach so süß, dass ihr die Worte fehlten. Ein leibhaftiger van Erlen-Händler würde aus dem Nähkästchen plaudern, nur für sie allein! Niemand anders als Santino konnte das zustande bringen.
»Und was dieses Spielzeug betrifft –« Sergej nahm das Auto und drückte es ihr in die Hände. »Das geht aufs Haus. Santinos Freunde sind meine Freunde.«
»Danke«, stammelte sie, nun gänzlich fassungslos. Und dann, als sie sich ein paar Schritte vom Stand entfernt hatten: »Danke! Ich weiß nicht, was ich sagen soll!«
Zwar war Santino nicht Familie, sondern ihr Lehrer und kein Fayeí, und durfte deshalb nur im Karmesinviertel wohnen. Aber hätte sie einen großen Bruder gehabt, hätte sie gewünscht, er wäre wie Santino. Und wie er so neben ihr herschlenderte, sah er kein bisschen aus wie der Kriegermagier aus dem Rabenfächer, der weiß Gott wie viele Jahrhunderte erlebt hatte. Tatsächlich hätte er einer der jungen, gut aussehenden Offiziere der königlichen Garde sein können, nach denen alle Hofdamen sich die Hälse verrenkten. Der Wind zerzauste sein dichtes schwarzes Haar, das ihn schon auf hundert Schritt Entfernung als Fremden unter den Fayeí auswies. Seine Züge waren scharf geschnitten wie bei einem Jagdfalken, doch wenn er lächelte, wich der grausame Zug einer fremdartigen Schönheit. Nur die Augen verrieten seine wahre Natur. Tiefschwarz waren sie und schienen ein ganzes Zeitalter zu reflektieren. Liebe, Schmerz, Vernichtung, Krieg. Die Klänge der Ewigkeit.
Schnell wandte sie ihren Blick wieder ab.
»Ich heirate diesen Newan nicht«, sprudelte es ihr über die Lippen.
»Er ist der Thronerbe von Tír na Avalâín, und obendrein ein netter Junge. Jede Frau im heiratsfähigen Alter beneidet dich. Er ist eine gute Partie.«
»Jetzt redest du schon wie mein Vater.
»Dein Vater ist ein kluger Mann.«
»Mein Vater ist mein Vater.« Voller Groll blieb sie stehen. Fing Santino jetzt auch damit an? »Und er hat keine Ahnung! Ich werde Hamstergesicht ganz sicher nicht heiraten! Egal, ob er Sonnenhaar hat oder nicht!«
Hamstergesicht?,
echote Nessa in ihrem Kopf.
»Stimmt das überhaupt, mit der Katastrophe?«, fragte sie nach einer Pause. »Oder schiebt mein Vater die nur vor, weil er die Allianz mit Tír na Avalâín besiegeln möchte?«
»Er braucht ein Kind, das die königlichen Blutlinien der Licht- und der Nebel-Fayeí wieder zusammenführt. Ein Kind, wie es aus deiner Verbindung mit Newan entstehen würde.«
»Ein Kind«, wiederholte sie schwach.
»Sarrakhan erschuf die Nebelsee-Welt im Traum einer schlafenden Kreatur, deren Heimatwelt sich weit, weit nördlich des Zeithorizonts befindet. Eine Stunde Schlaf in seiner Realität verzerrt sich zu Jahrtausenden in unserer.«
»Ich weiß«, unterbrach sie ihn entnervt. »Ich habe gerade zwei Stunden lang den Gründungsfries angeguckt, damit ich Hamstergesicht nicht sehen musste.«
Santino ging nicht auf ihre kleine Bosheit ein. »Magister Féach glaubt, dass die Risse Vorzeichen eines Zusammenbruchs sind, der die Nebelsee-Welt einfach auslöschen könnte. Stellen, an denen der Traum bricht und das Nichts hindurchschimmert. Etwas stört den Schlummer der Kreatur und könnte sie vorzeitig erwachen lassen. Und wenn sie erwacht, verpufft der Traum und eure Welt löst sich auf wie eine Seifenblase.«
Marielle musterte die Häuser auf der anderen Seite des Marktes, die Kräuterküchen, aus deren Fenstern zu jeder Tageszeit die seltsamsten
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