Purpurdämmern (German Edition)
er sich vorstellen, auf einer Wiese im vertrauten Detroit zu liegen, in der Welt, die er kannte, mit einem Mädchen, in das er verliebt war und die nichts von seinem verkorksten Bruder wusste.
Ein goldenes Stäubchen schwebte langsam herab und stieß eine Idee in seinem Kopf an. Ein Geschenk. Er wollte ihr etwas schenken.
Bei der van Erlen-Villa war Santino entnervt gewesen, weil Ken sich angestellt hatte wie der erste Mensch beim Versuch, einen einfachen Zauber zu wirken. Mit ein bisschen Nachdenken wusste er sogar, woran es gelegen hatte. Wille und Vision, hatte Santino gesagt, waren die Zutaten des Formens, verknüpft durch Konzentration. Ken war nicht fähig gewesen, sich zu konzentrieren, weil zu viele Sorgen ihm im Kopf herumjagten. Und weil er sich die ganze Zeit davon überzeugen musste, dass ihn Marielle immer noch vom Tor aus beobachtete.
Jetzt fühlte er sich so ausgeglichen wie eine hundertjährige Eiche.
Er suchte nach Wille in seinem Innern. Oh, er wollte. Er wollte wirklich. Wille und Vision. Und die richtige Dosis. Wie ein Salzstreuer. Nicht zu viel, um das Gewebe nicht zu zerreißen, doch genug, die Fäden sanft zu verbiegen.
Er fing das Fünkchen mit der Fingerspitze ein.
Was würde Marielle gefallen? Blumen vielleicht?
Nein, langweilig.
Schmetterlinge? Noch während er darüber nachdachte, begann der Funke zu wachsen. Er spürte ein Zupfen in der Fingerkuppe, wie von einem Papierdrachen, der an seiner Schnur zieht.
Der Funke schwoll weiter an. Kätzchen, schoss es ihm durch den Kopf. Der Gedanke kam aus dem Nichts und brachte ihn aus dem Konzept. Noch während er um Fassung rang, wuchs das goldene Ding auf die Größe seiner Faust. Zwei Schmetterlingsflügel wogten auf und ab, um das Gewicht eines Katzenkörpers in der Luft zu halten. Die Kreatur strahlte Hitze ab wie eine kristalline Supernova.
»Hey, Marielle!« Stolz und Begeisterung überwältigten ihn und gleich darauf die Sorge, das Tierchen könnte sich in Luft auflösen, bevor sie es gebührend bewundert hatte. »Hey, sieh mal, was ich für dich gemacht habe!«
Ihr Kopf hob sich aus dem Gras.
Im Weidengeäst raschelte es. Nessa tauchte aus den Zweigen auf und spähte zu ihnen herab. In ihrem Schlepptau sprangen zwei Katzenkinder herum. Er hätte schwören können, dass Belustigung in Nessas Schnurrhaaren zitterte. Und leise Häme.
Die Schmetterlingskatze löste sich mit wild schlagenden Flügeln von seiner Fingerspitze und torkelte bedenklich in der Luft.
»Halt, warte!« Er rollte sich auf die Füße, um sie einzufangen.
»Sarrakhan!«, wisperte Marielle. »Was
ist
das?«
»Ein Geschenk.« Hektik übermannte ihn, als das Geschöpf seinem Griff auswich. »Moment, ich hab es gleich wieder.«
Es stieg immer höher, sodass er die Arme über den Kopf strecken musste. Seine Fingerspitzen streiften die Flügel, glitten jedoch einfach hindurch. Ein feiner Schmerz schoss ihm in die Haut.
»Au, verdammt!«
Marielle machte ein Geräusch, von dem er nicht sicher war, ob es Lachen war oder empörtes Schnaufen. Erneut langte er nach der Schmetterlingskatze, erwischte den Schwanz und zog daran. Das Tierchen taumelte und fauchte. Der Schwanz versengte ihm die Handfläche und löste sich auf. Wie ein außer Kontrolle geratener Gleitschirm trudelte es abwärts und setzte die Schilfspitzen in Brand.
Die auflodernde Feuerspur jagte Ken einen heftigen Schrecken in die Glieder. Ungeachtet seiner Verbrennungen versuchte er ein drittes Mal, das kleine Biest zu fangen. Es stürzte im dichtesten Gras ab und produzierte beim Aufprall eine Stichflamme. Kurz darauf stand die halbe Wiese in Flammen. Qualm ballte sich zu schwarzen Schwaden und trieb ihm die Tränen in die Augen.
»Bist du verrückt geworden?« Hektisch sprang Marielle auf. »Tu was!«
Er begann, die Feuer auszutreten, doch das war ungefähr so wirkungsvoll, wie eine Büffelstampede mit bloßen Händen aufhalten zu wollen.
»Wir müssen das löschen!«, schrie sie.
Löschen, genau. Mit Wasser. Aus dem Augenwinkel sah er Nessa höher hinauf in die Baumkronen flüchten. Hoffentlich versengte das Biest sich das Fell. In seinem Kopf herumzupfuschen!
Zwischen den knisternden Halmen schimmerte der Teich.
Wille und Vision. Er stellte sich Tropfen vor, viele Tropfen, dichten Regen, einen riesigen Wasserfall. Nichts geschah. Die Hitze wurde so gewaltig, dass er zurückweichen musste. In der Glut zersprangen knackend die Äste. Regen, Wasserfall. Verdammt.
Fokus!
Marielle packte ihn am
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