Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
Das Roosevelt Warehouse des Buchstabensammlers dagegen wirkte so aufgeräumt wie das Parkhaus der Bank-of-America-Filiale in Downtown.
    »Wow«, sagte er noch einmal. »Das sind Buchstaben!«
    Die schleierartigen Vorhänge waren aus Ketten zerschnittener Papierlettern hergestellt. Er berührte eine Serie von B’s, die sacht in der Luft schaukelten.
    »Er macht sie mit Magie.« Marielle beugte sich vor und pustete dagegen. Glänzende Staubkörnchen lösten sich und schwebten zu Boden. »Als ich ihn vor vielen Jahren gefunden habe, war die ganze Halle voller Bücher. Es müssen Zehntausende gewesen sein. Er sortiert sie nach Buchstaben und hängt sie auf. Und das, was vorher drin stand, geht hier hinein.« Sie tippte sich gegen die Schläfe. »Er weiß alles über das Universum.«
    »Du machst Witze.«
    »Nein, mache ich nicht.« Sie fing eines der Stäubchen mit der Fingerspitze und hielt sie ihm hin. »Sieh mal.«
    Ohne nachzudenken, umfasste er ihr Handgelenk und zog es näher zu seinem Gesicht. Die Staubfluse schwebte über ihrer Nagelspitze, und er sah, dass sie winzige Flügel hatte, die bei jedem Schlag zu Schleiern verwirbelten. Eine mikroskopisch kleine, vogelartige Gestalt aus goldenen Rauchschwaden hing vor ihm in der Luft.
    »Jede Geschichte hat eine Seele«, wisperte Marielle.
    Die Seele schwebte höher. Ken folgte ihr mit seinen Augen, und plötzlich sah er durch den Goldstaub hindurch Marielles Lippen, die sich in einem Moment der Faszination teilten und ein wenig zitterten.
    Auch seine Finger zitterten, wo sie ihre Haut berührten. Er spürte ihren Puls und ihre Wärme und hatte mit einem Mal Schwierigkeiten, zu atmen. Alles, was er denken konnte, war, dass er so etwas mit July nie erlebt hatte.
    Dann trafen sich ihre Blicke und die Welt blieb stehen. Jedenfalls kam es ihm so vor. Das Violett ihrer Augen schimmerte dunkler als sonst. Nur dort, wo die Sonne ihre Pupillen streifte, loderten amethystfarbene Flammen. Ihr Duft umschmeichelte seine Sinne. Anisplätzchen.
    »Hast du schon mal ein Mädchen geküsst?«, fragte sie.
    Er wurde rot und rang nach Worten. »Also das im Depot –«
    »Nicht das.« Sie machte eine wegwerfende Geste, und das ärgerte ihn. Ihm hatte der Kuss gefallen. Auch der zweite, obwohl es ihm todespeinlich gewesen war, vor Santino, der zusah und grinste. »Ich meine, so richtig.«
    Gelegenheiten sind launisch und wollen nicht warten.
Warum leuchtete ausgerechnet jetzt Santinos Ratschlag in seinem Kopf auf? Santino stellte sich sicher nicht so blöd an, wenn ein umwerfend tolles Mädchen ihn fragte, ob er schon mal jemanden geküsst hatte.
    Eins, dessen Mund so nahe vor dem seinen schwebte, dass er ihren Atem auf seiner Wange spürte.
    Also machte er sich bereit, gleich vom Blitz erschlagen zu werden, raffte seinen Mut zusammen und wuchs über sich selbst hinaus. Er legte die freie Hand auf ihre Silberlocken, zog ihren Kopf näher heran und berührte ihre Lippen mit seinen.
    Ein Wunder geschah.
    Sie stieß ihn nicht zurück und verpasste ihm auch keine Ohrfeige, sondern erwiderte die Liebkosung.
    Es war ein zarter Kuss. Sehr keusch und vorsichtig und so voller Magie, dass er jedes Empfinden für Zeit verlor. Er beugte seinen Kopf tiefer und strich eine Locke beiseite und erkundete ihre Lippen, während sein Herzschlag ihm die Brust zu sprengen drohte. Er ließ ihr Handgelenk los und legte seinen Arm um ihren Rücken, um sie an sich zu ziehen, mehr von ihr zu spüren und in dem Rausch zu ertrinken, der mit keinem anderen Gefühl dieser Welt vergleichbar war.
    Sie öffnete ihren Mund, ihre Zunge berührte seine, ein Tanz wie auf Zehenspitzen. Der Kuss vertiefte sich und gewann an Feuer. Als er endlich von ihr abließ, war er atemlos, und sie war es auch. Ihre Wangen leuchteten rosa und das nicht aus Verlegenheit.
    Sie blickten sich an und er fühlte sich, als sähe er sie zum ersten Mal. Ihn packte leise Beklommenheit. Doch sie lächelte und legte beide Hände in seinen Nacken und zog ihn erneut zu sich herab.

    Später, als sie die Treppen hochstiegen, schob sie ihre Hand in seine. Die Geste erfüllte ihn mit solchem Glück, dass er fast Schuldgefühle darüber verspürte. Er schloss seine Finger fest um ihre und streichelte mit dem Daumen ihre Haut.
    »Ich habe noch die Blume«, sagte er. »Von deiner Tunika.«
    »Blume?«
    »Du hattest sie verloren.«
    Sie runzelte die Stirn, dann lächelte sie. »Oh. Damals. Du warst der kleine Junge, nicht wahr?«
    »Ich habe sie

Weitere Kostenlose Bücher