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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Arm, aber er schüttelte sie ab. Ihm war schlecht vor Panik. Wille. Vision.
    Er kniff die Augen zu und stellte sich vor, wie Fluten aus dem Teich über die Ufer traten und das Feuer einfach hinwegschwemmten.
    »Komm schon«, brüllte er. »Simsalabim! Sturmflut!«
    Der Erfolg stellte sich umgehend ein, und zwar in Form eines Tsunami. Heiliges –
    Grollend erhob sich die Wasserwand, hoch wie die Baumwipfel, krachte zusammen und fegte ihn von den Beinen. Das Wasser drang ihm in Nase und Ohren, blendete ihn, nahm ihm den Atem. Sekundenlang sah er nur grünen Schaum, roch Schlamm und Algen und rang mit den Wurzeln, die sich um seine Arme und Finger knoteten.
    Dann war der Spuk vorbei.
    Er japste nach Luft und verschluckte sich. Sand knirschte ihm zwischen den Zähnen.
    »O nein«, wisperte Marielle hinter ihm. Er quälte sich auf die Knie und öffnete die Lider. Heiliges Kanonenrohr.
    Das Feuer war verschwunden, Schilf und Grasbüschel von einer Schlammlawine begraben, wo nicht der Brand sie verzehrt hatte. Und Marielle war von oben bis unten durchnässt. Schwarze Krümel klebten ihr im Gesicht und im Dekolleté. Aus ihrem Haar tropfte sumpfgrünes Wasser.
    »Ich habe es gelöscht!«, erklärte er mit so viel Würde, wie er aufbringen konnte. »Tut mir leid. Ich, ähm, wollte dir einen Schmetterling schenken.«
    Eine Minute lang starrte sie auf die Verwüstung, ohne ein Wort zu sagen. Von Sekunde zu Sekunde fühlte er sich unbehaglicher. Vom schönen Garten war nichts übrig geblieben. Und alles war seine Schuld. Ihm dämmerte, dass sie sich dafür richtigen Ärger einhandeln konnten.
    Er machte ein paar Schritte in die Verwüstung hinein und zupfte an schwarz versengten Ästen herum, die hier und da wie Hühnerbeine aus dem Schlamm ragten.
    »O nein«, wiederholte sie. Unter den Dreckspritzern war ihr Gesicht ganz blass geworden. »Wie soll ich ihm
das
nur beibringen?«
    »Wir könnten es wieder aufräumen«, schlug er vor. »Vielleicht gibt es irgendwo Harken und dann …« Er verstummte, als ihr Blick ihn traf. Ja klar, Harken. Um die verkohlten Überreste in gerade Linien zu kämmen, oder was? »Hey, es tut mir wirklich leid. Ich wollte das nicht, okay? Ich mach’s wieder gut. Ich tue alles, was du willst, ich …«
    Sie berührte seinen Arm. »Hör auf.«
    »Aber –«
    Sie schüttelte den Kopf. Der Ausdruck in ihren Augen traf ihn mehr als alles, was sie ihm hätte vorwerfen können. Er hatte es gründlich vergeigt. Wie in einer dieser Sommerkomödien, wo ein Typ den Eltern seiner Freundin vorgestellt wird, und beim Abendessen zerlegt er aus Versehen das ganze Haus, wirft die Urne mit der Asche der verstorbenen Großmutter vom Kaminsims, versenkt den weißen Pudel der Mutter im Klo und beschmiert alle Wände mit Ketchup.
    »Es tut mir leid.« Er klang wie eine zerbrochene Schallplatte. »Hasst du mich jetzt?«
    »Davon wächst es auch nicht wieder nach.« Sie lächelte dünn. »Aber glaub nicht, dass ich dich rette, wenn der Buchstabensammler dich zur Rede stellt.«
    Aus dem Augenwinkel sah er Nessa, die sich ein Stück entfernt ins Gras fallen ließ und auf leisen Pfoten davonschlich. Das Schuldbewusstsein leuchtete ihr aus jedem einzelnen Fellbüschel.
    Marielle behauptete, sich um die Kätzchen kümmern zu müssen, und Ken ließ sie ziehen. Er konnte ihr nicht verdenken, dass sie nach dem Schrecken ein wenig allein sein wollte. Er war froh, dass sie ihn nicht mit Vorwürfen überschüttete, aber fühlte sich trotzdem schlecht, weil er ihr den Tag verdorben hatte. Er blickte ihr nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden war, dann schlenderte er hinüber zum Dachrand. Grasstoppeln und Schlammlachen schmatzten unter seinen Sohlen. Der Teich glich nun eher einem ausgetrockneten Salzsee. Die grünlichen Wunden am Horizont pulsierten wie ein lebendiges Tier. Er lehnte sich an die Brüstung und starrte hinab auf die Hausdächer. Das Rudel Spalthunde schien stetig anzuwachsen. Inzwischen mussten es weit über fünfzig sein. Zwischen den Industrie-Ruinen glitzerte der kleine Kanal, der zwei Meilen weiter südlich in den Detroit River mündete.
    Er strengte sich an, den Apfelhain auszumachen, und die Gestalt des blonden Landstreichers, der ein Medaillon mit dem Porträt seiner Mutter besaß. Doch von hier oben verschwammen Dächer und Gärten zu einem bräunlichen Teppich.
    Coinneach ging ihm nicht aus dem Kopf. Inzwischen ärgerte er sich, dass er nicht tiefer in ihn gedrungen war. Eine Frage nagte an ihm, ein

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