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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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aufgehoben.«
    »Du hast sie behalten? Die ganze Zeit? Ich habe sie eine nach der anderen verloren. Magister Féach sagte, das sei ihre Natur. Fern ihrer Heimat sind sie Nomaden.«
    »Ich sehe sie fast jeden Tag an.« Es war ihm ein wenig unangenehm, als er es aussprach, weil es klang, als hätte er sonst nichts Tolles im Leben. Was der Sache nahekam, an manchen Tagen, aber das musste er ihr ja nicht auf die Nase binden. Mädchen wollten beeindruckt werden, Gejammer verscheuchte sie nur. Das sagte jedenfalls Sean, der Frauenversteher.
    »Ich zeige sie dir. Wenn wir zurück sind, in meiner Welt.«
    Ihr Lächeln vertiefte sich, und er dachte, dass sie das schönste Mädchen war, das er je getroffen hatte. Einen selbstsüchtigen Moment lang wünschte er sich, noch viele Tage mit ihr hier festzusitzen, denn er wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie ins echte Detroit zurückkehrten.
    Vor ihnen mündete die Treppe in einen mit Efeu bewachsenen Glaspavillon, der sich aufs Dach hinaus öffnete. Moos überwucherte die Markierungsstreifen, die einst Parkplätze voneinander getrennt hatten. Sie traten an die Brüstung und blickten hinab auf die Wiese und die Industrieruinen. Sogar die Dalzelle Street war von hier aus zu sehen, die verfallenen Häuser und der Apfelgarten neben Kens Haus.
    Das Heulen und Knurren schwoll zu neuer Lautstärke an, als die Spalthunde sie entdeckten. Ein gutes Dutzend der Tiere rottete sich direkt unter ihnen zusammen. Die fürchterliche Riesenbestie war glücklicherweise verschwunden. Zu wissen, dass das Innere der Festung unerreichbar für die Kreaturen blieb, nahm dem Anblick den Schrecken. Es war ein bisschen wie vorm Löwengehege im Zoo.
    Marielle beugte sich über die Brüstung nach vorn. Er glitt hinter sie, sodass sein Körper sich an ihren Rücken schmiegte, und legte seine Hände auf ihre.
    Die letzten Tage hatte es immer wieder Momente gegeben, in denen er hoffte, durch einen Traum zu wandeln, aus dem er erwachte, und nichts wäre geschehen. Marty würde in der Küche plärren, Dad vor dem Fernseher schnarchen und Mom auf Zehenspitzen die Bierflaschen wegtragen. Jetzt wollte er überhaupt nicht mehr aufwachen.
    »Stimmt das, was Santino gesagt hat?«, fragte er. »Bist du wirklich eine Prinzessin? Mit einem richtigen Palast und einem Thronsaal darin?«
    Ihre Schultern versteiften sich. »Spielt das eine Rolle?«
    »Ist mir eigentlich egal.« Der Wind trieb ihm ihr Haar ins Gesicht. Ihre Locken verfingen sich in seinem Drei-Tage-Bart. »Ich frag nur aus Interesse.«
    Am Morgenhimmel pulsierte grünlich das Gewebe aus Rissen. Inzwischen hatte das Netz riesige Ausmaße angenommen und bedeckte den gesamten Horizont. Vor den blutenden Wolken schwebten die Drachenkraniche als winzige schwarze Punkte.
    »Irgendwie schon«, murmelte sie. »Aber du brauchst nicht neidisch zu sein. Prinzessin zu sein ist kein Spaß. Ich wäre lieber keine.«
    »Ich bin nicht neidisch.«
    Sie wandte den Kopf. »Bist du nicht?«
    »Stell dir doch mal vor, ich in einem Prinzessinnenkleid, ich sähe aus wie ein Idiot.«
    Sie trat ihm gegen das Schienbein, aber nicht sehr fest. »Du
bist
auch ein Idiot.«
    »Trotzdem hast du mich geküsst.«
    »Vielleicht habe ich eine Schwäche für Idioten.« In ihren Augen blitzten Goldfünkchen auf.
    »Und wieso willst du lieber keine Prinzessin sein?« Er schmiegte seine Wange gegen ihr Haar. »Wo ist überhaupt die sprechende Katze?«
    »Bestimmt in der Küche bei Santino, auf der Suche nach Fisch.« Sie seufzte. »Was denkst du, warum er mir nachgejagt ist wie der Teufel der armen Seele? Ich muss tun, was mein Vater für das Beste hält. Mein persönliches Wohl dem Wohl des Reiches unterordnen und so weiter. Wenn mir das nicht passt, dann schickt er Santino, der mich davon überzeugen soll, dass es doch nur das Beste für mich ist und alles gar nicht so schlimm.«
    Ihre letzten Worte klangen verbittert und verursachten ihm Unbehagen. Er wagte kaum zu fragen, aber dann überwältigte es ihn doch. »Hat das was mit dieser Heirat zu tun? Von der du im Depot geredet hast, gestern Nacht?«
    Sie schwieg einen Moment, dann löste sie sich aus der Umarmung. »Vergiss, was ich gerade gesagt habe. Wir sitzen sowieso hier fest, bis der alte Mann auftaucht.« Mit beiden Händen umfasste sie sein Gesicht. »Schicksal ist, was man daraus macht. Komm, ich zeige dir den Garten.«

    Sie ärgerte sich, dass sie überhaupt damit angefangen hatte, aber es war ihr eben so herausgerutscht. Dabei

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