Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
bohrendes Gefühl, und er konnte die Furcht nicht abstreifen, dass dieser Mann die Antwort besaß und dass er eine einzigartige Chance vertan hatte. Eine Botschaft, ein Schlüssel … irgendetwas, das Moms Verrücktheit heilen konnte. Doch er war zu ungeduldig gewesen, zu blind und überwältigt von der Erschütterung seiner Realität.
    Erschöpft streckte er die Hand nach einem blauen Stäubchen aus. Wille. Vision.
    Er schickte einen winzigen Stoß Willen in die Form, und diesmal
spürte
er, wie das Gewebe sich dehnte.
    Es war überwältigend.
    Ganz so wie der Tag, da er begriffen hatte, dass er die Kupplung an Seans altem Motorrad nicht abrupt loslassen durfte, sondern langsam, der Kraft des Motors nachspüren musste, die feinen Erschütterungen fühlen, wenn die Zahnräder ineinanderglitten. Der Moment des Verstehens, wie er Kontrolle ausüben konnte, die Kraft sorgfältig dosieren, statt sie auf einmal schießen zu lassen und zu hoffen, dass die Rädchen im richtigen Augenblick zusammenkrachten. Oder auch nicht.
    Genau so fühlte es sich an.
    Dieses Mal blähten nicht Flammen die Form auf, sondern ein feines Glänzen. Wie Zuckerwatte sah es aus, leicht und ätherisch. So, wie es schon beim ersten Mal hätte sein sollen.
    Er konzentrierte sich und vergaß darüber seine Empörung über Nessas Bosheit, die sich in seine Gedanken geschlichen und seinen Schmetterling sabotiert hatte.
    Ha!
    Die winzigen Flügel vibrierten. Er lenkte mehr Energie hinein, ein klein wenig mehr. Nahm vom Gewebe und formte es um, vorsichtig, so vorsichtig. Das Wesen schwebte nun aus eigener Kraft. Sanft löste es sich von seiner Fingerspitze, doch floh nicht, wie die Schmetterlingskatze zuvor.
    Vor Ehrfurcht wagte er kaum zu atmen.
    Marielles Augen kamen ihm in den Sinn, violett mit goldenen Flecken, und die Flügel nahmen einen amethystfarbenen Schimmer an, die Spitzen dunkle Bronze. Mit einem Gedanken verlängerte er die Schwingen zu blumenförmigen Fächern.
    Von unten wehte neues Geheul herauf und störte seine Konzentration. Immer mehr der wölfischen Kehlen fielen ein. Der Schmetterling verlor an Farbe und Form. Ken richtete seinen Fokus zurück auf das Konstrukt, doch zu heftig. Das Geschöpf schwankte. Winzige Flammen liefen an den Flügelrändern entlang.
    »Halt«, murmelte er. »Halt, warte!«
    In seiner Hast, den Zauber zu stabilisieren, brachte er den Schmetterling ins Taumeln. Im gleichen Moment frischte der Wind auf und trieb ihn über die Brüstung hinaus. Im Reflex beugte er sich vor, um das Wesen wieder einzufangen.
    Ein Ruck erschütterte die gesamte Festung und riss ihn aus dem Gleichgewicht, sodass der Schwung ihn beinahe übers Geländer getragen hätte. Geistesgegenwärtig ließ er sich fallen und prallte mit der Schulter gegen den Beton. Er keuchte vor Schmerz.
    Ein zweites Beben lief durch die Struktur, heftiger noch als zuvor. Ein Netz aus Sprüngen knisterte in der Brüstungsmauer, Staub und Steinchen rieselten herab. Das Jaulen und Geifern der Spalthunde schwoll zu einem Orkan an. Er verharrte für einen angstvollen Moment und dann, als nichts geschah, zog er sich wieder in eine aufrechte Position.
    Die Vibrationen verhallten, doch der Wind brauste zu immer schlimmeren Sturmböen auf. Die Bestien am Boden gebärdeten sich wie rasend.
    Im Geflecht der Himmelsrisse hatte sich ein weiterer Spalt gebildet, breit wie der Grand Canyon. Entlang der Wundränder bildeten sich Verästelungen. Ken musste an eine Blutvergiftung unter durchscheinender Haut denken. Die neue Kluft reichte bis hinab auf den Boden und verschwand zwischen den Hochhäusern von Downtown.
    Ernüchtert legte er den Kopf in den Nacken und starrte hoch. Die Sicherheit dieser Festung war Illusion. Wenn es passierte, wenn die Realität endgültig zerbrach, was geschah dann mit diesem Brocken aus Stahl und Beton? Schwebten sie dann in einer Art schwarzem Weltall, wie ein Raumschiff ohne Antrieb, und hingen dort fest bis zum Ende ihres Lebens? So schön es auch war mit Marielle und diesem Garten, sie saßen hier fest und wussten nicht, wie viel Zeit ihnen blieb, und warteten auf einen alten Mann, dessen Kommen mehr als ungewiss war! Nicht davon zu reden, dass sie sich im Belagerungszustand befanden. Sie konnten die Festung nicht verlassen, ohne von den Spalthunden zerfleischt zu werden. Und was, wenn die Verschlingerin auftauchte und einfach die Realität unter ihnen wegfraß?
    Währenddessen verstrich sein Termin für den AP -Test, floss ihm der Zugang

Weitere Kostenlose Bücher