Purpurfalter
Ihre Füße rutschten im Schnee aus. Nur sein Griff hinderte sie daran zu fallen. Die Kapuze der Greisin lag in ihrem Nacken, der Pelz blutgetränkt; Blut, das aus den Einstichen ihres Halses lief und Wors Bart rot färbte. Immer wieder stieß er seine langen Eckzähne in ihr Fleisch. Loreena war wie gelähmt.
„Er macht mich verrückt!“ Erbost ballte Mogall seine Hände zu Fäusten. „Er lehnte mein Angebot zigmal ab. In dieser gefährlichen Situation lässt er sich nun gehen.“ Er rümpfte die Nase. „Er kann es nicht einmal. Ich muss ihm zeigen, wo sich die Halsschlagader befindet. Sonst wird er die Frau nie blutleer saugen können.“ Aufgebracht zog er Loreena mit sich.
Diese konnte nicht glauben, was geschah. Tränen schossen in ihre Augen. Je näher sie dem abartigen Szenario kam, desto mehr drehte sich ihr Magen um. Ihr Vater, ihr eigener Vater, ein blutrünstiges Monster.
Loreena und Mogall huschten von Iglu zu Iglu, bis sie bei König Wor ankamen. Kurz sah er auf und widmete sich gleich wieder seinem Opfer. Verklärt war sein Blick - wie Gamtams Gesichtsausdruck. Er war von Sinnen. Lange hatte er seinen Blutdurst unterdrückt. Nun überfiel er ihn stürmisch. Flehend schaute die Greisin Loreena und Mogall an. Sie streckte Hilfe suchend ihre Hand nach ihnen aus. Loreena zerriss es innerlich. Dann geschah alles fürchterlich schnell. Plötzlich machte Mogall einen Schritt auf Wor zu. Ein Dolch lag in seiner Hand. Mit einem präzisen Schnitt durchtrennte er die Kehle der Alten. Tot sackte sie in sich zusammen. Loreena presste beide Hände auf den Mund, um nicht hysterisch zu kreischen. Sie beobachtete, wie Mogall Wors Zähne an ihre Halsschlagader führte. Schmatzende Geräusche, Gurgeln und Schlecken störten die nächtliche Ruhe Firns. Eindringlich schaute der spitzbärtige Vampir Loreena an. Als er auf sie zuging, wich sie rückwärts aus. Er fasste sie an den Schultern und zog sie in seine Arme. Zärtlich wischte er ihr die Tränen von den Wangen. Mogall legte den Zeigefinger an seine Lippen, um ihr zu signalisieren, sie solle das Schluchzen unterdrücken. Sanft umarmte er sie und flüsterte: „Es ging nicht anders.“
Loreena sah dies ein. Die Greisin hätte ihren ganzen Plan verderben können, doch sicherlich hätte es einen anderen Weg gegeben. Es gab immer einen anderen Weg. Nun war es zu spät. Weinend lehnte sich Loreena an Mogalls Schulter. Seine Nähe beruhigte sie. Die Tränen ebbten ab. Sie rang nach Fassung und nickte ihm zu. Es war Zeit, Lomas zu befreien. „Wor ist nicht in der Lage Euch zu begleiten. Ihr kennt meinen Bruder nicht. Daher werde ich mit ins Gefängnis kommen.“
Mogall schüttelte das Haupt. Aber er wusste, dies war die einzige Möglichkeit, den Auftrag durchzuführen. Schließlich nickte er resignierend. Er wandte sich an Wor. „Saugt sie aus. Wir holen Euch ab, nachdem wir Lomas aus dem Gefägnis befreit haben.“
Loreena war sich nicht sicher, ob ihr Vater den Vampir vernommen hatte, denn er reagierte nicht. Doch sie hatten keine Wahl. Es wurde dringend Zeit, das Unvermeidliche hinter sich zu bringen. Der Tagesanbruch würde nicht warten.
Mogall und Loreena liefen zwischen den Häusern hindurch. Niemand begegnete ihnen. Hatten die Turmwachen sie beobachtet? Sie mussten das Risiko eingehen. Es dauerte nicht lange und sie standen nur ein Iglu entfernt vom Gefängnis. Wie Klavorn beschrieben hatte, handelte es sich um einen flachen Bau aus durchsichtigen Eisblöcken. In Einzelzellen lagen die Häftlinge auf Eispritschen. Über mehr ließ die Finsternis nur vage Vermutungen zu. Lediglich Kerzenschein machte Loreena aus. Auf dem Dach patrouillierten zwei Wachen. Viel zu wenig für diesen langen Bau, der sich bis hinter die wie ein Eisberg aussehende Feste zog. Anscheinend war sich der frostländische König der Unbesiegbarkeit der Hauptstadt äußerst sicher.
Sie hörte ein Rascheln zu ihrer Linken und blickte sich erschrocken um. Klavorn winkte ihnen zu. Er hockte mit Wolweer, einem Vampir mit weichen knabenhaften Gesichtszügen, nur wenige Schritte von ihnen entfernt.
Mogall nahm Loreenas Hand und drückte leicht. Der Moment war gekommen. Die zwei Wachen unterhielten sich. Diese Unachtsamkeit hieß es auszunutzen. Schnell huschten Loreena und Mogall über den Vorplatz und tauchten in das Gefängnis ein. Keine Wache stand am Eingang. Keine Tür verschloss den Trakt. Aber Loreena fehlte die Zeit, sich zu wundern. Vor ihnen lag ein langer Gang, der keine Nische
Weitere Kostenlose Bücher