Purpurfalter
Reben im fahlen Mondlicht, als stände dort eine Armee Vampire, bereit jeden aufzuhalten, der Rabenhöh erklimmen und Valkenhorst entfliehen wollte.
Sollte Schomul auf allen vieren zwischen den Rebstöcken hindurchkriechen und die Grenze überwinden? Er war einer möglichen Flucht sehr nahe. Wie dumm wäre es, zur Siedlung zurückzukehren, um seinen Platz in der Mitte der Vampire einzufordern! Aber nichts zog ihn in die Fremde. Freiheit würde er dort nicht finden, denn sein Herz war auf ewig in Valkenhorst gefangen. Er verfluchte seinen Idealismus! Sein ganzes Leben richtete er darauf aus, Rache zu üben und seinem Hass Luft zu machen. Wie konnte er einfach davonlaufen? Doch er stellte auch eine gewisse Angst bei sich fest; die Furcht, als einziger Vampir in einem Land voller Menschen zu leben. In Valkenhorst könnte er es schaffen, nicht aufzufallen und unter seinesgleichen zu sein. Doch welch einsames Leben erwartete ihn in der Fremde! Er hoffte, eine Lösung zu finden, aber er suchte noch vergebens.
„Wir sind angekommen.“ Fedlor streckte seinen Arm aus und hinderte Schomul daran weiterzugehen.
„Du hättest es auch ohne mich geschafft. Kein einziges Mal musste ich dich stützen.“
„Vielleicht brauchte ich deine Stärke neben mir.“ Fedlor betastete nervös die Furchen seiner Aknenarben.
In Schomuls Augen sah er in diesem Moment so aus wie zu der Zeit, als sie den Vampiren heimlich in die Blutkrüge urinierten, nachdem sie zur Ader gelassen worden waren. „Welche Stärke? Du siehst einen gebrochenen Mann vor dir.“
Fedlor prustete los, was Schomul sichtlich irritierte. „Du weißt verdammt genau, wieviel Leidenschaft und Stärke in dir steckt. Die letzten Wochen mögen dein Selbstbewusstsein ins Wanken gebracht haben, doch du hast dich längst erholt, sowohl körperlich als auch seelisch. Du bist dir dessen nur noch nicht bewusst.“
„Ach ja?“
„Ich kenne dich besser als du dich selbst.“ Plötzlich wurde Fedlor ernst. „Kämpfe für die Menschen, Schomul. Kämpfe für das, was wir uns als Knaben gewünscht haben. Während unserer Kindheit haben wir es uns ausgemalt. Nun bist du ein Mann und die Zeit ist für dich gekommen, unsere Träume wahr werden zu lassen.“
Schomul war versucht zu erwidern, dass er keine Ahnung hatte, wie er dies tun sollte. Er wollte fragen, weshalb Fedlor ihm nicht half. Wie zur Hölle sollte er sich gegen die Vampire stellen, da sie doch seine neue Familie waren? Aber er schluckte alle Fragen runter.
„Geh jetzt besser. Sonst führen sie die Zeremonie nachher nicht mehr durch.“ Trauer schwang in Schomuls Stimme mit. Es war ein Abschied. Niemand von beiden wusste, ob sie sich wieder treffen würden.
Sie umarmten sich kurz, dann drehte Schomul sich ab und stapfte auf dem Pfad von dannen, auf dem sie gekommen waren. Kein einziges Mal schaute er sich um. Er lauschte krampfhaft dem Gesang einer Nachtigall, um seine Gefühle auszuschalten. Zeitweise zählte er seine Schritte. Schnaufend lief er ein Stück und blieb unsicher stehen. Er genoss den Frieden des Waldes und die Ruhe der Nacht.
Bis plötzlich Fedlors Schreie die Nachtruhe störten. Entsetzt fuhr Schomul herum. Wieder wehklagte sein Freund. Wie viel Zeit war vergangen seit sie sich verabschiedet hatten? Waren die Schmerzen Teil des Rituals oder zerfleischten ihn diese Bestien?
Wie von Sinnen raste Schomul zurück. Ihm war es egal, ob er auf Äste trat und dieses Geräusch streifende Vampire anlockte. Er pfiff auf einen geduckten Gang, ignorierte die Zweige, die ihm ins Gesicht schlugen. Einen Bären ließ er links liegen ohne die Angst zu verspüren, dass der Koloss sich auf ihn stürzen könnte. Fedlor! Fedlor! Fedlor!, hallte es in seinen Gedanken wider.
Hastig bahnte er sich einen Weg zwischen den Kiefern und Fichten hindurch, begleitet von entfernten Schmerzensschreien. Er überquerte Lichtungen, strauchelte hin und wieder durch Wurzelschlingen, die aus dem Erdboden ragten, und fiel hin. Ohne sich um seine aufgeschürften Knie zu kümmern sprang Schomul auf und rannte weiter. Würde er rechtzeitig eintreffen um die Zeremonie zu stören?
Endlich erreichte er den Ort, an dem er Fedlor verlassen hatte. Schomul hielt inne und lauschte, um die Richtung auszumachen. Wolfsgeheul war überdeutlich zu vernehmen. Wimmern Fedlors. Krachende Holzscheite. Raschelnde Bäume. Brausender Wind. Schon hastete Schomul los.
Nach ein paar Schritten konnte er einen vagen Blick auf das Horror-Szenario werfen.
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