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Purpurfalter

Purpurfalter

Titel: Purpurfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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Geduckt schlich er sich näher heran, bedacht, nicht auf Zweige zu treten und entdeckt zu werden. Vorsichtig ging er von Tanne zu Tanne, einen Fuß vor den anderen setzend. Fedlor jammerte, wann immer ein Wolf Fleisch aus seinem Körper riss. In tollwütiger Manier umkreisten sie ihn.
    Schomul schüttelte sich beim Anblick ihrer Fratzen - halb Wolf, halb Vampir. Doch er schwor, sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Riesige Hauer ragten aus ihren Fängen. Aufgerissene, blutrote Augen. Ihre Krallen waren monströs und konnten mit einem Hieb Fedlors Kehle aufreißen. Aber sie verletzten ihn nur. Wollten sie ihn leiden sehen oder gehörte dies bereits zum Ritus? Schomul erinnerte sich Fedlors Worte. Sollte er eingreifen? Sollte er den Dingen ihren Lauf lassen, so wie sein Freund es verlangt hatte?
    Unerwartet kam die Wende. Die Werwölfe beruhigten sich. Wie in Trance wippten ihre großen Köpfe. Blutverschmiert glänzte ihr Fell. Noch immer umkreisten sie Fedlor. Aber nun führten sie eine Art langsamen Tanz um ihn herum auf. Es war fast so, als stände die Zeit auf der Lichtung, auf der sein bester Freund auf einem Bett aus Ästen und Tannenzweigen lag, still. Mystisch mutete die mondbeschienene Szene an.
    Dann erschien ein Licht zwischen den Baumkronen. Langsam näherte es sich der Sektengemeinde. Die Häupter der Bestien blieben gesenkt. Keine Silhouette konnte Schomul erkennen, kein Wesen oder auch nur den Hauch einer Kontur. Aber er spürte mit jeder Faser seines Körpers, dass Rappaschumah eingetroffen war, um ein neues Mitglied unter seinen Anhängern zu begrüßen.
    Schomuls Blick streifte den geschundenen Körper Fedlors, der nun entspannt dalag. Der Blondschopf hielt seine Augen geschlossen. Flach ging sein Atem. Er schein keine Schmerzen mehr zu empfinden. Vielleicht war er bereits in höhere Sphären aufgestiegen oder seine Wandlung vom Vampir zum Werwolf vollzog sich soeben. Fedlor hatte sein Ziel erreicht. Er war dort, wo er sein wollte. Nun war es an Schomul, ebenfalls seinen Weg einzuschlagen und ein neues Zuhause zu finden.
    Schomul senkte den Blick und drehte der Zeremonie, die im Begriff war zum Ende zu kommen, den Rücken zu. Sollte Rappaschumah seinen besten Freund haben. Sollte Fedlor seinen Frieden finden und die Art von Freiheit genießen, die er für sich auserwählt hatte. Schomuls Schuldigkeit war getan. Er konnte nichts mehr tun, außer sich Fedlors letzten Wunsch zu Herzen zu nehmen und zu kämpfen. Fedlor, nun ein Werwolf und Jünger Rappaschumahs.
    Vorsichtig bahnte sich Schomul einen Weg durch das Gehölz. Jetzt noch von den Anhängern entdeckt zu werden konnte fatal sein. Über Rappaschumahs Macht hatte er keine Ahnung. Vielleicht konnte das seltsame Wesen, das als Gottheit verehrt wurde, Vampire mit dem kleinen Finger töten.
    Er beschleunigte seine Schritte. Leichtfüßig, doch mit schwerem Herzen sprintete er durch den Ruten Hain. Nach Wölfing wollte er gelangen, um die Hauptstadt zu erobern und Rache an Valkenhorst zu üben. Schomul hatte Blut geleckt. Behende setzte er einen Fuß vor den anderen. Der Morgen war nicht mehr fern. Die Vögel erwachten bereits und stimmten ein Konzert an. Die Tannen verschmolzen nicht länger mit der Finsternis, sondern nahmen an Konturen zu. Hier und da knackte es im Unterholz, aber Schomul ignorierte es. Schneller und schneller lief er. Stoßweise presste er den Atem heraus, der durch die Kälte sichtbar wurde. Frühnebel zog auf. Er bedeckte den Waldboden, gab dem Ruten Hain etwas Geheimnisvolles – und Schomul war ein Teil davon.
    „Ich spüre es“, sprach er zu sich selbst ohne anzuhalten. „Ich spüre deutlich den Vampir in mir. Früher hätte ich diesen Ort gemieden, als wäre er die Hölle. Doch jetzt pulsiert mein Blut, als würde es innerlich kochen.“ Urplötzlich hielt er an und schrie sich die Seele aus dem Leib: „Die Finsternis ist mein Heim!“ Er verstummte, um den Reaktionen aus dem Ruten Hain zu lauschen. Doch die Tiere des Waldes ignorierten seinen leidenschaftlichen Ausbruch. Die Tannen und Moosflechte verwandelten sich nicht zu mystischen Wesen, um ihn willkommen zu heißen; ihn – Schomul, der das erste Mal violettes Blut durch seinen Körper fließen spürte und dessen amethystfarbene Augen die Dunkelheit durchbrachen, als stände die Mittagssonne am Zenit. Ein seltsames Prickeln durchströmte seine Glieder. Das Gefühl, neu geboren zu sein, erfüllte ihn. Was ihn am meisten verwunderte war, dass er nicht den

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