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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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daß es keinen Gott gibt, daß wir uns überhaupt nicht von anderen Tieren unterscheiden, daß das Universum keinen Zweck und kein Ziel hat, daß unsere Seele aus derselben Substanz wie Wasser und Sand besteht.«
    »Auf dieser Insel halten sich zweitausend Kultisten auf, die an etwas anderes glauben«, sagte ich.
    Michael zuckte die Achseln. »Was erwarten Sie von Menschen, die auf einer Scheibe leben? Ihre größte Angst muß es einfach sein, in die Tiefe zu fallen. Wenn jemand verzweifelt und leidenschaftlich in den Abgrund stürzen will, ist es natürlich möglich – auch wenn es eine Menge Anstrengung kostet. Nur wenn man seine ganze Willenskraft auf dieses Ziel richtet. Nur wenn man sich Zentimeter um Zentimeter nach unten vorkämpft.
    Ich glaube nicht, daß Ehrlichkeit in den Wahnsinn führt. Ich glaube nicht, daß wir Illusionen brauchen, um nicht verrückt zu werden. Ich glaube nicht, daß der Weg zur Wahrheit mit Fallgruben gespickt ist, die nur darauf warten, daß jemand hineintappt, der zuviel denkt. Man kann nur in ein Loch fallen, das man sich selbst gegraben hat.«
    »Aber Sie sind gefallen, nicht wahr?« sagte ich. »Als Sie ihren Glauben verloren.«
    »Ja, aber wie tief? Was ist aus mir geworden? Ein Serienmörder? Ein Folterknecht?«
    »Ich hoffe nicht! Aber Sie haben viel mehr als nur kindliche Dinge verloren, nicht wahr? Was war mit all den bewegenden Predigten über Freundlichkeit, Wohltätigkeit und Liebe?«
    Michael lachte leise. »Was hat das mit dem Glauben zu tun? Wie kommen Sie darauf, daß ich etwas verloren hätte? Ich habe aufgehört, mir vorzumachen, daß die Dinge, die mir etwas bedeuten, in irgendeiner geheimnisvollen Gruft namens ›Gott‹ verborgen sind – irgendwo außerhalb des Universums, außerhalb der Zeit, außerhalb von mir. Das ist alles. Ich brauche keine schönen Lügen mehr, um meine Entscheidung treffen zu können, um ein Leben zu führen, das ich für gut halte. Wenn die Wahrheit mir all diese Dinge genommen hätte… hätte ich sie niemals wirklich besessen.
    Und trotzdem mache ich Sie sauber, wenn Sie sich vollgeschissen haben. Trotzdem erzähle ich Ihnen um drei Uhr morgens Geschichten. Wenn Sie ein größeres Wunder als das erwarten, muß ich Sie enttäuschen.«
     
    Ganz gleich, ob es eine authentische Autobiographie oder eine geschickt improvisierte Therapie war, auf jeden Fall unterminierte Michaels Geschichte meine Panik und Klaustrophobie. Seine Argumente waren viel zu vernünftig, so daß sie wie ein heißer Draht durch mein Selbstmitleid schnitten. Wenn das Universum keine kulturelle Fiktion war, dann war es jedenfalls das graue Entsetzen, das ich empfand, wenn ich mich selbst als Teil davon betrachtete. Ich hatte mich niemals zu der Aufrichtigkeit durchringen können, die molekulare Existenz meines Wesens anzuerkennen, doch schließlich war die gesamte Gesellschaft, in der ich lebte, genauso verschämt. Die Wirklichkeit war schon immer beschönigt, zensiert und ignoriert worden. Ich hatte sechsunddreißig Jahre in einer Welt verbracht, die nach wie vor durch unterschwelligen Dualismus und stillschweigende religiöse Dumpfheit verseucht war, in der jeder Film und jedes Lied die unsterbliche Seele beschwor… während jeder Designerdrogen schluckte, die ein Produkt des reinen Materialismus waren. Kein Wunder, daß die Wahrheit so schockierend war.
    Der Abgrund war verständlich – genauso wie alles andere. Ich hatte das Interesse daran verloren, mir selbst ein Loch zu graben.
    Vibrio cholerae jedoch weigerte sich, meinem Beispiel zu folgen.
    Ich lag eingerollt auf der Seite und hatte mein Notepad gegen ein Extra-Kissen gelehnt, während Sisyphus mir zeigte, was in mir vor sich ging.
    »Die B-Untereinheit des choleragenen Moleküls lagert sich an die Wand der Darmschleimhautzellen an. Die A-Untereinheit beginnt die Membran aufzulösen und durchdringt sie. Dadurch wird eine gesteigerte Adenylcyclase-Aktivität stimuliert, die im Gegenzug die Menge des cyclischen AMP erhöht, wodurch es zur Sekretion von Natrium-Ionen kommt. Das gewöhnliche Konzentrationsgefälle wird umgekehrt, und die Flüssigkeit wandert in die falsche Richtung, nämlich in das Darminnere.«
    Ich sah zu, wie die Moleküle sich verbanden. Ich verfolgte den gnadenlosen, ungeordneten Tanz. Das war es, was ich darstellte – ganz gleich, ob mir dieses Verständnis Trost spendete oder nicht. Dieselbe Physik, die mich sechsunddreißig Jahre lang am Leben erhalten hatte, konnte mich ohne weiteres

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