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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Dämon in meinem Körper war.
    Ich sagte: »Doch wenn die Wahrheit, die Unterwelt, die UT… Sie packt und nicht mehr losläßt…« Ich hob die Hand, um es zu demonstrieren, doch sie war bereits zu einer Faust geballt, ohne daß ich es bemerkt hatte. »Wie können Sie es dann noch ignorieren? Wie wollen Sie es verleugnen? Wie können Sie sich weiterhin einreden, daß Sie jemals über den Dingen standen, daß Sie die Fäden zogen?«
    Schweiß lief mir in die Augen und trübte mein Blickfeld. Ich wischte ihn mit der geballten Faust fort und lachte. »Wenn jede einzelne Zelle, jedes verdammte Atom in Ihrem Körper die Botschaft in Ihre Haut brennt, daß alles, was Ihnen etwas bedeutet, alles, wofür Sie leben… nur der Schaum auf der Oberfläche eines Vakuums mit einer Dicke von zehn hoch minus dreiunddreißig Zentimetern ist – wie können Sie dann weiterlügen? Wie können Sie davor die Augen verschließen?«
    Ich wartete auf ihre Antwort. Der Trost und die Erlösung waren zum Greifen nah. Ich streckte ihr flehend die Arme entgegen.
    Walsh lächelte flüchtig und ging einfach fort, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
     
    Ich wachte in den frühen Morgenstunden auf. Ich glühte wieder und war in Schweiß gebadet.
    Michael saß neben mir auf einem Stuhl und las etwas auf seinem Notepad. Der ganze Raum wurde sanft von oben beleuchtet, doch in mir schien das Licht der Worte viel heller.
    Ich flüsterte: »Heute habe ich versucht, all das zu werden… was ich verachte. Aber nicht einmal das ist mir gelungen.«
    Er stellte das Notepad ab und wartete darauf, daß ich weitersprach.
    »Ich bin verloren. Ich bin wirklich verloren.«
    Michael blickte auf den Monitor neben dem Bett und schüttelte den Kopf. »Sie werden es überleben. In einer Woche können Sie sich gar nicht mehr vorstellen, wie Sie sich in diesem Augenblick gefühlt haben.«
    »Ich spreche nicht von der Cholera. Ich habe…« Es schmerzte, als ich lachte. »Ich habe das, was die Mystische Renaissance als spirituelle Krise bezeichnen würde. Und ich habe nichts, das mir Trost spenden könnte. Nichts, das mir Kraft geben könnte. Keine Frau, keine Familie, keine Nation. Keine Religion, keine Ideologie. Nichts.«
    »Dann dürfen Sie sich glücklich schätzen«, sagte Michael ruhig. »Ich beneide Sie.«
    Ich starrte ihn fassungslos und entsetzt über seine Herzlosigkeit an.
    »Nichts, in das Sie Ihren Kopf stecken könnten. Wie ein Vogel Strauß auf festem Riff-Fels. Ich beneide Sie. Sie könnten etwas Wichtiges lernen.«
    Darauf hatte ich keine Antwort. Ich begann zu zittern. Ich schwitzte und hatte Schmerzen, doch mir war eiskalt. »Ich nehme zurück, was ich über die Cholera gesagt habe. Es steht eins zu eins. Ich bin in zweierlei Hinsicht beschissen.«
    Michael legte die Hände in den Nacken und streckte sich. Dann rückte er sich umständlich auf dem Stuhl zurecht. »Sie sind doch Journalist. Wollen Sie eine Story hören?«
    »Haben Sie keine wichtigen medizinischen Aufgaben zu erledigen?«
    »Genau das tue ich gerade.«
    Ein Schwall Übelkeit breitete sich von meinen Gedärmen aus. »Gut, ich höre Ihnen zu. Wenn ich alles aufzeichnen darf. Worum geht es?«
    Er grinste. »Natürlich um meine eigene spirituelle Krise.«
    »Das hätte ich mir denken können.« Ich schloß die Augen und rief Witness auf. Dieser Vorgang lief völlig instinktiv ab und war innerhalb einer halben Sekunde vorbei… doch als er vorbei war, war ich schockiert. Ich fühlte mich, als stünde ich kurz vor dem Ende – doch diese Maschinerie, die genauso wie alles Organische ein Teil von mir war, funktionierte immer noch tadellos.
    »Als ich noch ein Kind war«, begann er, »nahmen meine Eltern mich immer mit in die Kirche – in die schönste Kirche der Welt.«
    »Diesen Satz habe ich irgendwo schon einmal gehört.«
    »Doch diesmal ist er wahr. Die Kirche der Reformierten Methodisten in Suva. Es war ein großes weißes Gebäude. Von außen sah es schlicht aus – asketisch wie eine Scheune. Doch sie hatte mehrere Reihen von Buntglasfenstern, die vom Computer in Himmelblau, Rosa und Gold eingefärbt waren und Szenen aus der Bibel zeigten. Jede Wand war mit allen möglichen Blumen bemalt – Hibisken, Orchideen, Lilien –, die bis zum Dach hinaufreichten. Und die Bänke waren immer bis auf den letzten Platz besetzt, jeder trug die beste und farbenfroheste Kleidung, jeder sang, jeder lächelte. Es war, als würde man direkt in den Himmel eintreten. Sogar die Predigten waren wunderschön,

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