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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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auseinandersetzen; ich hatte das Interesse an diesem Kampf verloren.
    Ich versuchte es. Ich schloß die Augen und stellte es mir bildlich vor. Ich wollte es durch reine Willensanstrengung geschehen lassen. Ich war nicht im Fieberwahn, aber es erschien mir die einzig vernünftige Entscheidung, dieser sinnlosen und häßlichen Auseinandersetzung einfach den Rücken zuzukehren. Es war die offensichtliche Lösung, so daß ich für einen Moment wirklich daran glaubte.
    Und dann verstand ich endlich, was ich nie zuvor verstanden hatte – weder beim Sex noch beim Essen, weder in der verlorenen übersprudelnden Körperlichkeit der Kindheit noch durch die Nadelstiche zahlloser belangloser Verletzungen und unverzüglich kurierter Krankheiten – daß diese Fluchtvision bedeutungslos war, eine falsche Mathematik, ein dummer Traum.
    Dieser kranke Körper war alles, was ich darstellte. Er war keine vorübergehende Zuflucht für einen winzigen, unzerstörbaren Gott, der irgendwo in der warmen Dunkelheit hinter meinen Augen lebte. Vom Gehirn bis zum fauligen Arschloch war dies das Instrument für alles, was ich je tun, fühlen und sein würde.
    Ich hatte niemals an etwas anderes geglaubt…
    … aber ich hatte es noch nie zuvor so nachdrücklich erlebt und erfahren. Ich war nie zuvor gezwungen gewesen, die ganze erbärmliche, zuckende, viszerale Wahrheit anzuerkennen.
    War Daniel Cavolini zur selben Erkenntnis gelangt, als er die Augenbinde abgerissen hatte? Ich starrte zur Decke hinauf, ich war angespannt, ich zitterte, ich fühlte mich klaustrophobisch, während sich die Übelkeit und der Schmerz von meinem Unterleib ausbreitete und zu harten Riemen verfestigte, die sich wie metallene Bänder unter meiner Haut spannten.
    Um Mittag stieg meine Temperatur wieder an. Ich war froh darüber, denn in der Verwirrung des Deliriums fühlte ich mich wohler. Manchmal schien das Fieber jeden einzelnen Nerv in Brand zu stecken, wodurch jede Empfindung vergrößert und verschärft wurde, aber ich hoffte, daß es diese neue Erkenntnis auslöschte, die viel schlimmer als die Schmerzen war.
    Doch es half nichts.
    Mosala besuchte mich erneut. Ich lächelte und nickte, sagte aber nichts und konnte mich überhaupt nicht auf ihre Worte konzentrieren. Die zwei Trennwände links und rechts von meinem Bett standen noch, aber die dritte war beiseite geschoben worden. Wenn ich den Kopf hob, konnte ich den Patienten sehen, der mir gegenüber lag, ein schwacher, abgemagerter Junge am Tropf, dessen Eltern an seinem Bett standen. Sein Vater las ihm leise etwas vor, während seine Mutter ihm die Hand hielt. Diese Szene kam mir unendlich weit entfernt vor, jenseits eines unüberbrückbaren Abgrunds. Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, jemals wieder die Kraft zu haben, mich zu erheben und fünf Meter weit zu gehen.
    Mosala ging. Ich trieb dahin.
    Dann bemerkte ich, daß jemand am Fußende meines Bettes stand, und ich wurde von einem elektrischen Schlag durchzuckt. Es war ein Schock der transzendentalen Ehrfurcht.
    Durch die erbarmungslose Realität schritt: ein Engel.
    Janet Walsh drehte sich halb zu mir herum. Ich stemmte mich mit den Ellbogen hoch und rief ihr erschrocken und entzückt zu: »Ich glaube, ich verstehe jetzt! Warum Sie es tun. Nicht wie… aber warum.«
    Sie blickte mich an, mit leichter Irritation, aber ohne Beunruhigung.
    Ich sagte: »Bitte reden Sie mit mir. Ich bin bereit zuzuhören.«
    Walsh runzelte leicht die Stirn, tolerant, wenn auch verständnislos, während ihre Flügel geduldig flatterten.
    »Ich weiß, daß ich Sie beleidigt habe. Es tut mir leid. Können Sie mir verzeihen? Ich will jetzt alles hören. Ich will verstehen, wie Sie es machen.«
    Sie betrachtete mich schweigend.
    »Wie lügen Sie über die Welt?« wollte ich wissen. »Und wie schaffen Sie es, selbst daran zu glauben? Wie können Sie gleichzeitig die ganze Wahrheit sehen – die ganze Wahrheit wissen – und doch so tun, als spielte es keine Rolle? Wie geht der Trick? Was ist Ihr Geheimnis?«
    Mein Gesicht brannte wie Feuer, doch ich beugte mich vor, weil ich hoffte, daß schon ihre Ausstrahlung genügte, um mich mit ihrer Kraft der Erkenntnis zu infizieren.
    »Ich bemühe mich! Sie müssen mir glauben, daß ich mich bemühe!« Ich wandte den Blick ab, als mir plötzlich die Worte fehlten und ich verständnislos vor dem unsagbaren Mysterium ihrer Gegenwart stand. Dann begann der nächste Krampf – das Wesen, von dem ich nicht länger behaupten konnte, daß es ein

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