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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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unserer abendlichen Diskussionen über Quanten-Metaphysik und unsichtbare Barrieren-Erbauer. Im aktivierten Zustand ist mir das egal – aber am Morgen, wenn ich an die einförmigen, ungelebten Stunden im Wächter-Modus denke, spüre ich ein seltsam leeres Gefühl in der Brust, das bedrückend ist und mich lange davon abhält, mich fürs Einschlafen zu entscheiden.
     
    Die zweite Phase des Experiments beginnt. Po-kwai sitzt wieder auf ihrem Platz im Versuchsraum, diesmal umringt von einer ganzen Batterie hochauflösender Gammakameras, während man ihr den Kopf mit radioaktiv markierten Neurotransmittern und Glucose geradezu vollgepumpt hat. Daß sie >beobachtet< wird, zumindest von Apparaten, steht außer Frage. Die Daten aus den Kameras werden jedoch nicht automatisch in den Kontrollraum weitergeleitet; ob die Experimentatoren vor dem Bildschirm (die wohl ebenso Versuchspersonen sind wie Po-kwai) die Vorgänge in bestimmten Teilen von Po-kwais Gehirn zu sehen bekommen, entscheidet ein Zufallsgenerator, der seine Entscheidung immer erst im letzten Moment trifft.
    »Es ähnelt ein wenig Alain Aspects Photonenexperimenten mit verzögerter Entscheidung aus dem Jahr 1982«, erklärt sie mir. »Leung hat eine verbesserte Version der Bellschen Ungleichung entwickelt, um die Korrelation in der Antwort bestimmter Neurone zu überprüfen. Wenn wir recht haben, dann müßte sie unter einem spezifischen Schwellenwert liegen.«
    Die Einzelheiten, um die es hier geht, gehen weit über mein Niveau, doch worauf es hinauslaufen wird, ist mir durchaus klargeworden: Meine gutgemeinten Versuche, eine andere und harmlose Funktion für jene die Wellenfunktion gnadenlos kollabierende Gehirnregion zu finden, sollen nun nachhaltig widerlegt werden.
    Und zu welchem Ende? Ich werde wohl schlucken müssen, daß dieses Universum das Produkt eines Genozids ist, begangen von meinen Ur-Urahnen. Darüber denke ich wieder und wieder nach, doch es führt zu nichts. Ich versuche mich mit Beispielen aus der irdischen Evolution zu trösten: Habe ich jemals ein schlechtes Gewissen wegen der Dinosaurier gehabt? Denn wenn Po-kwai recht hat, hat es sie vielleicht nie gegeben – bis irgendein Säugetier des Weges kam und die Vergangenheit unwiderruflich festlegte, aus vielen Möglichkeiten der Evolution eine einzige machte, indem es die Wellenfunktion zum Kollaps brachte. Es ist ein Trost, ganz in der Art jener so beliebigen, niemals überprüfbaren und höchst metaphysisch klingenden Behauptungen: >Könnte das Universum nicht erst heute morgen erschaffen worden sein… komplett mit falschen Erinnerungen für jeden einzelnen von uns, mit gefälschten archäologischen, paläontologischen, geologischen, kosmologischen »Indizien«… als ob das ganze schon seit fünfzehn Milliarden Jahren existiert hätte?<
    Das Problem ist aber: Das, was Po-kwai behauptet hat, läßt sich überprüfen. Und so kann ich diese Idee nicht loswerden, sie macht sich selbständig, verfolgt mich – unangreifbar, unbeantwortet.
    Diesmal ist der Versuchsraum schalldicht isoliert, und selbst wenn Po-kwai die Ergebnisse vor sich hin murmeln sollte, würden wir es nicht hören. Statt dessen ist die Hauptkonsole nun der Ort, an dem Leung, Lui und Tse den Kollaps auslösen, indem sie bestimmte Abschnitte von Po-kwais Gehirn studieren. Ich schiele hin und wieder nach dem Bildschirm, aber die Tomogramme, Schaltschemata und Histogramme sagen mir gar nichts, so bunt sie auch sind. Sie sind zu verwirrend, zu geheimnisvoll, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, und es macht mir keinerlei Mühe, mich abzuwenden.
    Naiverweise habe ich auf eine rasche Antwort gehofft, aber erst müssen die unvermeidlichen Fehler ausgemerzt werden – in Ausrüstung, Software und auch bei der Versuchsperson, denn inzwischen ist Po-kwai im Umgang mit dem Modul wieder etwas unsicher geworden. Da es keine unaufhörliche, suggestive Litanei mehr gibt und die Bildschirme für mich so nichtssagend sind, verliere ich auf meinem Wachposten im Labor tatsächlich das Interesse, nicht einmal das Geplapper der Wissenschaftler nehme ich noch wahr. Was immer diese Experimente für die Liga bedeuten mögen, meine Rolle hier ist völlig klar: Ich tue, was die vorgebliche INITIATIVE von mir erwartet, so sorgfältig, als hätte sich für mich nicht das Geringste geändert.
    Außer Dienst, im nichtaktivierten Zustand, geht das Grübeln weiter: Könnte es nicht sein, daß auch die Liga am Ende völlig bedeutungslos ist – nicht anders

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