Quarantäne
damit leben – warum soll ich es nicht auch können?«
»Weil Ihre Loyalität der INITIATIVE gehört und nicht der Gruppe, die gerade an den Schalthebeln sitzt. Was ist, wenn die Allianz zerbricht und sich neu formiert, mit neuen Zielen, geänderten Prioritäten? Oder sie zerbricht, ohne daß es zu einem neuen Zusammenschluß kommt? Wem gilt dann Ihre Loyalität? Welcher Splittergruppe? Und für wen würden Sie kämpfen, wenn es nötig würde?«
Nur zu gern hätte ich das mit einer geringschätzigen Bemerkung abgetan, aber ich beherrsche mich. Schließlich ist die INITIATIVE das Wichtigste in meinem Leben, da kann ich nicht so tun, als ginge das alles mich nichts an.
Ich sage: »Worauf soll das überhaupt hinauslaufen, dieses Loyalsein gegenüber >dem Ganzen Kann es etwas anderes bedeuten, als sich der Gruppe unterzuordnen, die gerade an der Macht ist? Dieses Prinzip gilt doch für jede Regierung, überall auf der Welt…« Lui schnaubt verächtlich. »Okay, ich will damit nicht sagen, daß diese Art Pragmatismus unbedingt erstrebenswert ist. Aber was genau schlagen Sie vor? Sie haben mir bisher keine Alternative angeboten.«
Er nickt. »Da haben Sie recht, ja. Aber zuerst ging es darum, daß auch Sie die Notwendigkeit einer Alternative einsehen.«
Ich habe nicht den Eindruck, irgend etwas eingesehen zu haben, aber ich widerspreche nicht.
Er fährt fort: »Nun gibt es eine gewisse Sorte Menschen, die beurteilen können, welche der Gruppen oder Parteien tatsächlich die INITIATIVE repräsentiert. Es ist eine Frage von immenser Bedeutung, die sorgfältig bedacht sein will. Man darf ihre Beantwortung nicht jenen überlassen, die zu irgendeinem Zeitpunkt zufällig die Macht in den Händen haben. Da stimmen Sie doch zu, nicht?«
Ich nicke einigermaßen widerwillig. »Aber… was denn für eine >Sorte< Menschen?«
»Wir. Alle die, die ein Loyalitätsmodul haben.«
Ich lache. »Sie und ich? Soll das ein Witz sein?«
»Nicht nur wir beide. Es gibt noch mehr von uns.«
»Aber…«
»Wem sonst kann man vertrauen? Das Modul ist die einzige Garantie. Wer das Modul nicht hat, gleich in welcher Position, läuft immer Gefahr, die Interessen der INITIATIVE mit seinen privaten Interessen zu verwechseln. Für unsereinen ist das unmöglich – absolut unmöglich, selbst wenn wir es wollten. Deshalb muß die Entscheidung darüber, ob etwas der INITIATIVE dienlich ist oder nicht, in unseren Händen liegen.«
Ich starre ihn an. »Aber… das ist…«
Was? Meuterei? Ketzerei? Wie ist so etwas möglich! Wenn man Lui nicht anders als mir ein Loyalitätsmodul implantiert hat – und ich glaube nicht, daß er mir das alles nur vorgespielt hat –, dann ist er dazu doch gar nicht fähig. Was immer er tut, tut er logischerweise aus Loyalität gegenüber der INITIATIVE, weil…
Und jetzt trifft mich die Erkenntnis wie ein Blitz……weil für uns die INITIATIVE logischerweise immer nur das ist, was das Loyalitätsgefühl auslöst.
Das hört sich an wie ein Zirkelschluß, ein Produkt geistiger Inzucht, Ausgeburt eines blödsinnigen Solipsisus… und anders kann es auch gar nicht sein. Schließlich ist das Loyalitätsmodul nichts weiter als eine geschickt arrangierte Gruppe von Nervenzellen in unseren Köpfen, und tiefere Gründe als sich selbst kennt es nicht. Wenn die INITIATIVE das Wichtigste in meinem Leben ist, dann ist das Wichtigste in meinem Leben die INITIATIVE – was immer das sein mag. Einen Irrtum gibt es da nicht, kein Mißverständnis.
Das befreit mich noch lange nicht aus den Krallen des Moduls – ich weiß, daß ich >die INITIATIVE< nicht einfach willkürlich neu definieren kann. Aber einen Trost gibt es doch, ein Stückchen Freiheit hat mir diese Erkenntnis schon gebracht, die mir niemand mehr rauben kann: War ich bisher der Sklave mit Ketten um Hände und Füße, geschmiedet an ein Gewicht, unverrückbar wie ein Fels – so habe ich es nun geschafft, wenn auch noch immer gefesselt, mich von dem Gewicht zu befreien. Lui – Leidensgenosse, Bruder im Irrsinn – muß meine Gedanken gelesen haben, vielleicht ist mein Gesichtsausdruck auch beredt genug. Er nickt kurz, und ich merke, daß ich ihn die ganze Zeit schon anhimmle wie der letzte Idiot – aber ich kann nicht anders.
»Die Unfehlbarkeit«, sagt er, »entschädigt uns für vieles.«
Als er endlich geht, ist die Verwirrung perfekt, mir dreht sich alles – und ob ich will oder nicht, ich bin einer der Mitverschwörer.
Die modulgeschädigten
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