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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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man diesen Menschen sehr lange allein ließe? Wenn er fast immer unbeobachtet bliebe? Wäre es nicht möglich, daß er lernen würde, das Geschehen zu steuern? So wie Sie mit dem Modul einen bestimmten Ablauf erzwingen können?«
    Sie scheint geneigt, diese Idee zu verwerfen, aber dann zögert sie, denkt angestrengt nach – und lächelt auf einmal. »Ich überlege, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich die Neuronenanordnung des Moduls ist… Wenn jemand lange genug verschmiert ist, dann könnte er zwischendurch auch die verrücktesten, ganz unwahrscheinlichen Gehirnstrukturen entwickeln, nicht nur die normalen. Das hätte eigentlich keine Konsequenzen, denn die wahrscheinlichsten sind auch die, die sich nach dem Kollaps einstellen. Aber was, wenn eine der unwahrscheinlichen Versionen des Gehirns die Fähigkeit besitzt, die Eigenzustände ein wenig zu manipulieren? Wenn sie sich dann sozusagen an den eigenen Haaren in eine höhere Wahrscheinlichkeit hieven kann…«
    »… womit eine Version des Gehirns wirklich geworden wäre, die diese Fähigkeit auf Dauer besitzt…«
    »… und bei nächster Gelegenheit, wenn die Person wieder verschmiert ist, ergibt das einen doppelten Vorteil: Sie hat nicht nur die Möglichkeit, Eigenzustände zu beeinflussen, sie beginnt auch auf einem neuen, günstigeren Niveau – andere, noch größere Fähigkeiten bietende Zustände sind nun weitaus wahrscheinlicher geworden und liegen in Reichweite.
    Eine ganze Lawine kommt so ins Rollen.« Begeistert wiegt sie sich hin und her. »Das heißt doch: Evolution! Ein kompletter Evolutionsprozeß in der Spanne eines Menschenlebens! Mit einem Schlag ganz nach oben… Oh, das gefällt mir!«
    »Dann ist das also möglich?«
    »Das halte ich für ausgeschlossen.«
    »Was? Haben Sie nicht eben gesagt…«
    Mitfühlend tätschelt sie mir die Schulter. »Eine wundervolle Idee, wirklich! Zu wundervoll, um wahr zu sein, würde ich sagen. Wenn so etwas möglich wäre, wieso haben wir dann nie davon gehört? Wo sind die Fallstudien hirngeschädigter Patienten, die nach Lust und Laune mit Eigenzuständen jonglieren? Es ist wohl so, daß das erste Stadium kaum in absehbarer Zeit erreicht werden kann. Irgendwann einmal wird sich sicher jemand die Mühe machen und exakt berechnen, wie lange es dauert, bis dieses erste Sich-aus-dem-Sumpf-ziehen gelingt – aber zweifellos wird es sich um Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte handeln… vielleicht länger als ein Menschenleben. Und wie lange kann man in dieser Welt überhaupt allein und ungestört sein?«
    »Vermutlich haben Sie recht.«
    »Nun, schließlich muß ich meinen Platz in den Annalen der Wissenschaft verteidigen. So etwas läßt man sich doch nicht nehmen.«
     
    Karen sagt: >Ich mag sie. Sie ist intelligent, skeptisch, mit nur einem kleinen Rest Naivität. So ein nettes Mädchen hast du in vielen Jahren nicht kennengelernt. Und ich denke, daß sie dir helfen kann.<
    Ich blinzle, weil ich nicht ganz glaube, was ich sehe, und kann einen Seufzer nicht unterdrücken. Das Merkwürdige ist, daß ich keineswegs den Eindruck habe, wieder einmal die Kontrolle zu verlieren, außer daß die Erinnerung an die drei letzten, einförmigen Stunden meines Wächterdaseins mir so fremd wie ein halbvergessener Traum erscheint.
    Ich sage: »Was willst du?«
    Sie lacht. >Was willst du?<
    »Ich möchte, daß alles seinen normalen Gang geht.«
    >Normal! Erst warst du Sklave einer Bande von Kidnappern, jetzt machst du dich offensichtlich zum Götzendiener der Sache, in deren Namen man dich versklavt hat. Trägst dein Idol in deinem Kopf spazieren… die INITIATIVE! Daß ich nicht lache…<
    Ich zucke mit den Schultern. »Ich habe keine andere Wahl, solange das Loyalitätsmodul sich nicht einfach in Luft auflöst. Was erwartest du von mir? Daß ich dagegen ankämpfe, bis ich irrsinnig geworden bin? Ich will nicht kämpfen, ich weiß genau, was man mit mir gemacht hat, und ich weiß mindestens ebenso genau, daß ich ohne das Modul um jeden Preis davon befreit sein wollte – aber was nützt mir das? Wenn ich frei wäre, würde ich frei sein wollen… Und wenn ich jemand anders wäre, würde ich etwas völlig anderes wollen. Aber dem ist nicht so, und ich will es nicht. Es ist irrelevant und führt zu nichts.«
    >Das muß es auch nicht.<
    »Was soll das wieder heißen?«
    Sie gibt keine Antwort; sie dreht sich um und blickt »durch« das künstliche Fenster über die Stadt hinaus. Sie hebt eine Hand und befiehlt dem

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