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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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ist schon ein zweiter hinzugekommen. Nach einer Weile sagt sie: »Sie sind so unscheinbar. Ich dachte immer, sie würden viel stärker leuchten.«
    Die Menge ist verstummt, alles schaut zum Himmel. Die Sterne vermehren sich mit der Emsigkeit von Bakterien, nicht anders, als es in meiner Vision in Po-kwais Diele geschah. Reichte die Macht der verschmierten Menschheit so weit in meine Vergangenheit? War sie es, die schon damals meine Eigenzustände auswählte?
    Po-kwai beginnt zu zittern. Ich flüstere irgendwelches dummes Zeug, das sie beruhigen soll, und nehme ihre Hand. Sie sagt: »Nicht, daß ich Angst hätte… Es kommt nur so unvorbereitet. Kannst du es nicht aufhalten? Bitte! Es kommt einfach zu früh.«
    Die Menge beginnt zu verschwimmen; die Gruppen lösen sich auf. Neue, viel größere entstehen.
    In einer Lücke dazwischen sehe ich jemanden, der ganz allein seines Wegs geht. Karen wirft einen Blick zur Seite und mustert mich dann mit leicht gerunzelter Stirn – wie jemanden, an den man sich nur von ungefähr erinnern kann. Sie wendet sich ab und geht davon.
    Ein breites Sternenband strahlt hell am Himmel. Ich bin aufgestanden, noch immer Po-kwais Hand haltend, und versuche, sie aufzurichten, sie mitzuzerren.
    Als ich die Lücke zwischen den Gruppen erreicht habe, zögere ich. Wabernde menschliche Körper stoßen aufeinander und verschmelzen dabei. Po-kwai reißt sich los. Ich gehe einige Schritte zurück. Ganz kurz erhasche ich noch einen Blick auf Karen, wie sie davongeht, aber anscheinend kann ich mich jetzt nicht mehr bewegen.
    Ich schaue zum Himmel, der zu einer einzigen grellweißen Fläche geworden ist.

 
EPILOG
     
    Eine ganze Woche lang war ich von Lager zu Lager unterwegs, um nach ihr zu suchen. Jedermann dort hätte eigentlich im Zentralcomputer registriert sein müssen, aber vielleicht war sie so vorsichtig, einen anderen Namen zu benutzen.
    An jenem ersten Morgen, umgeben von Chaos und Leichen, glaubte ich nicht, daß es noch Rettung geben könnte. Kein Strom, kein Wasser, keine Verkehrsmittel; Nahrungsvorräte für höchstens einen Tag – und eine Million oder mehr Leichen, die in den Straßen verwesten. Ich war überzeugt, daß es überall auf der Welt so aussehen würde, und die noch Lebenden bald an Durst, Hunger und Cholera sterben würden. Als im Kau-lun-Park die ersten Hubschrauber landeten, hätte ich mir fast die Pulsadern aufgeschnitten – so überzeugt war ich, daß es wieder eines dieser Wunder war, daß das Ganze noch einmal von vorn begann.
    Es scheint, daß sich die Seuche nicht über die Stadt hinaus ausgebreitet hat – oder daß zumindest jene Versionen des Geschehens, in denen das passierte, nicht real wurden. Vielleicht war die ganze Menschheit verschmiert – aber der Eigenzustand, der letztlich gewählt wurde, beschränkte den Schaden auf Neu-Hongkong. Wenn es solche Wunder auch in London oder Moskau, Kalkutta oder Peking, Sydney oder sogar in Darwin gegeben hatte – sie haben keine Spuren hinterlassen, keine Erinnerung. Vielleicht war das Ausmaß der Katastrophe das kleinstmögliche, das sich noch mit dem letzten Augenblick der realen Vergangenheit vereinbaren ließ – dem letzten Augenblick, in dem noch irgendwer irgendwo kollabierte.
    Am Anfang hat mich noch Po-kwai begleitet, bis sie am dritten Tag dann ihrer Familie begegnete. Es war wohl besser, daß sie bei ihnen blieb, anstatt mit mir weiterzuziehen. Ohne sie, glaube ich, kann ich sehr viel besser das unschuldige, zutiefst verstörte und verständnislose Opfer spielen.
    Dabei kann ich mich wirklich nicht anders als verständnislos bezeichnen. Wie sollte ich je verstehen, daß die verschmierte Menschheit – nachdem sie auf so beschwerliche Weise geboren worden war, nachdem sie endlich in jenen Raum der unendlichen Möglichkeiten jenseits der Barriere vorgedrungen war – vor dem letzten Schritt zurückschreckte. (Vielleicht tat sie das gar nicht; vielleicht sind die Barrieren-Erbauer eingeschritten und haben sie daran gehindert… obwohl das nach allem, was Lauras Erscheinung mir sagte, schwer vorstellbar ist.)
    Aber wenn die verschmierte Menschheit den Anblick dessen, was hinter der Barriere lag, nicht ertragen konnte – aus welchem Grund auch immer –, dann blieb ihr nichts weiter als der Selbstmord: der Kollaps in einen Zustand, aus dem es für alle Zeiten kein Entkommen mehr gab. Verschmieren bedeutet exponentielles Wachstum, Wachstum ohne Grenzen. Die einzige stabile Alternative ist das Festhalten an

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